Leitartikel

SPÖ in der Asyl-Sackgasse

In der SPÖ rumort es, inhaltliche und strategische Probleme treten offen zutage. Daran ist ausnahmsweise nicht nur Querkopf Hans Peter Doskozil schuld.

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Von Franz Josef Strauß, dem so skandalumwitterten wie legendären bayerischen Ministerpräsidenten, stammt ein Fundus knackig-derber Zitate. Etwa die Steigerungsform: Feind-Todfeind-Parteifreund.


Der hinterlistige Spruch ist wie für Hans Peter Doskozil erfunden. Kaum plant Pamela Rendi-Wagner einen größeren Auftritt, ist er verlässlich mit einer Intrige zur Stelle und vermasselt der Parteichefin die Show. So geschehen in der Vorwoche: Rendi-Wagner lud zur groß inszenierten Veranstaltung, wollte Wirtschaftskompetenz beweisen und industriepolitische Pläne präsentieren. Betonung auf wollte: All die Konzepte schafften es nicht in die Schlagzeilen. Die dominierte Doskozil mit einem Foul: seiner gezielt lancierten Umfrage, er würde Beliebtheitswettbewerbe und Wahlen gewinnen. Und Rendi-Wagner blieb  – wieder einmal – nur übrig, düpiert von Fernsehsender zu Fernsehsender zu tingeln und treuherzig zu versichern, sie sei als SPÖ-Spitzenkandidatin total fix. Zumindest bis zum nächsten Doskozil-Untergriff.


Ein loyaler Mitstreiter wird der burgenländische Quertreiber nicht mehr werden, zu wohl fühlt er sich in der Rolle, die Autorität der Parteichefin regelmäßig zu untergraben – tatkräftig unterstützt von Genossen aus der SPÖ-Sektion Macho, die mit einer Chefin fremdeln. 

Der Versuch der SPÖ-Spitze, das heikle Thema Migration feige zu ignorieren, ist hochkant gescheitert.

Außer dem üblichen Gesudere und den gewohnten Sticheleien nichts gewesen also? Mitnichten. Denn in der SPÖ rumort es in anschwellender Lautstärke. Einen großen Fansektor hat Doskozil zwar nicht, seine gehässige Zickzack-Zermürbungsstrategie, ständig zu zündeln, vor dem Sprung an die Parteispitze aber zurückzuschrecken, kostete ihn viel Sympathien – während Rendi-Wagner mit hartnäckigen Steherinnenqualitäten Pluspunkte sammelte. Inhaltlich aber trifft Doskozil einen wunden Punkt: Der Versuch der SPÖ-Spitze, das heikle Thema Asyl-Migration feige zu ignorieren, ist hochkant gescheitert.


Sie sehe kein Problem und keine Flüchtlingskrise, tönte Rendi-Wagner allen Ernstes noch Ende August. Wenige Wochen später ließ das Innenministerium die ersten Zelte für Geflüchtete aufstellen, und die Zahl der Asylanträge kletterte auf über 90.000, mehr als im viel zitierten Fluchtjahr 2015. Mittlerweile dämmert selbst den beharrlichsten roten Traumtänzern, dass Schönreden und Verdrängen an der Flüchtlingskrise nichts ändern und die SPÖ nicht einfach abtauchen kann. Keine Frage: Hauptverantwortlich für das Asyldilemma ist die Kanzler- und Innenministerpartei ÖVP, den plumpen Schmäh von angeblich geschlossenen Migrationsrouten glaubt ihr niemand mehr – die Balkanroute ist offensichtlich sperrangelweit offen. Bloß: Mit Totschweigen landet die SPÖ lediglich in der Asyl-Sackgasse und überlässt das Terrain der Konkurrenz. Allen voran der  FPÖ, die mit platten Anti-Ausländer-Parolen punktet.


Seit den 1990er-Jahren findet die SPÖ bei Asyl und Zuwanderung keine konsequente Linie. Zu mehr als verdrucksten Scheinlösungen konnte sie sich nie durchringen – auch beim vorerst letzten Versuch im Jahr 2018 nicht, als der linke Parteiintellektuelle Peter Kaiser und Doskozil, der Liebling der Law-and-Border-Genossen, gemeinsam ein Grundsatz-Migrationspapier verfassten. Es bot für alle Parteiflügel etwas: ein bisschen Härte, ein bisschen Humanismus – vor allem aber die fast verzweifelte Hoffnung, die EU werde die vertrackte Materie Asyl irgendwann mit einer „europäischen Migrationsstrategie“ lösen. Damit hielt die SPÖ das komplexe Thema für erledigt. Das rächt sich jetzt.

Denn die SPÖ, die sich einige monatelang schon fix als nächste Wahlsiegerin und Kanzlerpartei sah, schwächelt. In Umfragen rückt die FPÖ, das Comeback-Kid der heimischen Innenpolitik, plötzlich wieder dicht auf, auch beim Realitätscheck Wahlen sind, siehe zuletzt Tirol, nur mickrige Zugewinne von 0,23 Prozentpunkten drinnen. Sieger sehen anders aus.


Das bedeutet für SPÖ-Strategen Alarmstufe rot. Denn eigentlich befindet sich die politische Konkurrenz derzeit alles andere als in Hochform und wäre theoretisch unschwer zu überflügeln: Die ÖVP stöhnt ein Jahr nach dem Abgang von Sebastian Kurz noch unter dem Scherbenhaufen, den der Ex-Hoffnungsträger hinterließ, und quält sich durch den Sumpf von Korruptions- und Chataffären. Mit dem vergifteten Erbe schlägt sich ÖVP-Chef Karl Nehammer herum – und schwankt zwischen halbherzigen Distanzierungen von Kurz und dem Gegenteil, dem Wiederaufstieg von Kurz-Vertrauten und Co-Beschuldigten Gerald Fleischmann. Auch die FPÖ wirkt derzeit alles andere als unbesiegbar: Der radikale Kurs, mit Corona-Rechtsaußen zu brüllen, verschreckte viele, FPÖ-Chef Herbert Kickl ist zudem alles andere als ein Menschenfischer und Sympathieträger. Doch nicht einmal in dem Wettbewerb der Angeschlagenen kann die SPÖ überzeugend reüssieren.


Damit ist selbst den größten roten Optimisten mittlerweile klar, dass ihre Träume von Kanzleramt reichlich verfrüht waren – weil die SPÖ gravierende strategische und inhaltliche Probleme hat. Und daran ist ausnahmsweise nicht Querkopf Hans Peter Doskozil schuld.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin