Steht der Wahlsieg der FPÖ fest?
Eine ganz normale Woche der FPÖ: Der Finanzskandal in der Steiermark zieht immer weitere Kreise, nun wird wegen Kindesmissbrauchsbildern ermittelt. In Niederösterreich vergibt der FPÖ-Landesrat Gelder aus dem Corona-Fonds an einen rabiaten Impfgegner. Ein Mitarbeiter der deutschen Schwesterpartei AfD sitzt in U-Haft, er soll für China spioniert haben. In Wien wird untersucht, welche Staatsgeheimnisse mutmaßliche Innenministeriumsspione an Russland verraten haben und welche Rolle die FPÖ dabei spielt. Das Europaparlament verurteilt die Nähe der FPÖ zum Kreml.
Kurz: eine ganz normale Woche der FPÖ. Geprägt von dubiosen Affären, schwerwiegenden Vorwürfen, ungeniertem Umgang mit Steuergeld. Bei jeder anderen Partei hätten die Skandalserien in Blau für gleich mehrere geschmalzene Wahlniederlagen gereicht. An der Teflon-FPÖ aber prallte bisher alles ab, ihre Fans erwiesen sich entweder als besonders verzeihend oder als außergewöhnlich vergesslich oder beides. Blau donnerte gegen „das System“ und segelte seit mehr als einem Jahr auf der Proteststimmung zu Wahlerfolgen und zu immer dominanteren Pole-Positionen in Umfragen. Und als unumstößliche Grundregel galt: Platz 1 bei der Nationalratswahl im Herbst ist der FPÖ nicht mehr zu nehmen, ihr Triumph steht fest. Spannend bleibt nur mehr, wer Platz 2 erobert – ÖVP oder SPÖ.
Stimmen diese Prognosen? Nach den Aufwärmrunden für das Superwahljahr 2024, den Bürgermeister-Entscheidungen in Salzburg und Innsbruck, kommen leichte Zweifel auf. Denn das Rendezvous der blauen Umfragekönige mit der rauen Wahlwirklichkeit endete mit unerwarteten Aha-Erlebnissen: Die FPÖ wurde herb zurechtgestutzt, blieb weit unter den hochgeschraubten Erwartungen, schaffte in Salzburg mit 10,8 Prozent nur knapp ein zweistelliges Ergebnis und fuhr in Innsbruck überhaupt ein Minus ein. Die Stichwahlen um das Bürgermeister-Amt mussten sich die FPÖ-Kandidaten in beiden Städten von den Zuschauerrängen aus ansehen.
Kurz: Die FPÖ hat kein Protestmonopol. Und blaue Zugewinne sind kein Automatismus.
Seither wird in Politzirkeln hitzig diskutiert: Lassen sich Schlüsse aus den Kommunalwahlen ziehen? Etwa jener, dass die FPÖ ein beliebtes Krokodil ist, mit dem Wählerinnen und Wähler gern drohend wacheln, um unmissverständlich ihren Zorn auf ÖVP/SPÖ/ Grüne/Regierung/EU/Welt/alles zu zeigen, dass aber deutlich weniger Menschen die krawalligen Blauen in Entscheidungspositionen sehen wollen? Umgelegt auf die Nationalratswahl: Drohen viele in Umfragen mit einem Kanzler Herbert Kickl, um der ungeliebten Regierung einen Schuss vor den Bug zu verpassen – wählen ihn dann doch nicht, wenn es ernst wird?
Erfahrungswerte, aus denen sich gut argumentierte Antworten auf diese Fragen ableiten lassen, existieren nicht. Die Ausgangssituation, dass die FPÖ in Umfragen auf Platz 1 liegt, bedeutet absolutes Neuland. Früher erzielten die Grünen fantastische Umfragewerte, aber maximal mittelmäßige Wahlergebnisse. Nicht auszuschließen, dass die FPÖ am Weg zum neuen Grün ist – und nur über Umfragen jubelt, am Wahlabend aber wenig zu feiern hat.
Aber. Darauf verlassen sollten sich die politische Konkurrenz keinesfalls. Aus mehreren Gründen: Erstens schnitt die ÖVP in Salzburg und Innsbruck desaströs ab, wurde nach hinten durchgereicht, kam über eine Adabei-Rolle nicht hinaus und ist generell in Städten am Weg in die Bedeutungslosigkeit. Zweitens bedeutet die Themenkonjunktur Rückenwind für die FPÖ: Teuerung verliert an Bedeutung, der Polit-Dauerbrenner Migration/Asyl nimmt an Fahrt auf. Drittens sehen strahlende Sieganwärter derzeit auch anders aus als die SPÖ, die sich in Dauerquerelen verstrickt und bei den AK-Wahlen durchwachsen abschneidet. Als die Grünen, denen der Groll über Regierende mit Wucht entgegenschlägt. Als die NEOS, die selbst in Studierendenhochburgen wie Innsbruck hochkant scheitern. Kurz: In überzeugender Bestform agieren auch die anderen Parteien derzeit nicht, im Gegenteil.
Fünf Monate vor der Nationalratswahl steht damit als Ausgangslage fest: Der oft avisierte Kantersieg der FPÖ ist möglich, aber keineswegs fix – und hängt auch davon ab, ob die Proteststimmung ein anderes Ventil findet. In Salzburg profitierte der KPÖ-Kandidat von der Sehnsucht nach Anti-Politikern, die nicht die üblichen Funktionärssprech-Textbausteine verwenden, die unkonventionell auftreten und sich Themen außerhalb der Politblase widmen. In Innsbruck surfte ein Parteirebell mit seiner Bürgerliste auf der Anti-Erfolgswelle. Auch der Zuspruch für die Bierpartei folgt dem Muster.
Alle etablierten Parteien basteln an ihren Wahllisten. Einige bunte, ungewöhnliche Kandidatenakzente würden ihnen nicht schaden, ein paar frische Themen genauso wenig. Denn ob die FPÖ gewinnt oder nicht, das steht und fällt damit, was die anderen Parteien aufbieten.