Sven Gächter: Gestöhne um das Biest
Wenn das politische Klima frostiger wird, die Stimmung gedrückt und der Umgangston rauer, schlägt die Stunde der überparteilichen Autoritäten. Staatstragende Worte sind gefragt, mahnend und versöhnlich zugleich. Also sprach Frank-Walter Steinmeier: „Es gibt Anzeichen dafür, dass uns eine Veränderung der politischen Kultur bevorsteht. Der Kampf gegen das Establishment hat ganz offensichtlich Einzug in die Politik gehalten“, sinnierte der deutsche Bundespräsident vergangene Woche in einem Interview mit der Hamburger „Zeit“, nicht ohne einen beziehungsreichen Seitenhieb anzubringen: „Tabubrüche dürfen sich nicht auszahlen. Wer für jede neue Provokation eine neue Einladung in eine Talkshow erhält, fühlt sich zum Provozieren ermuntert.“
Zum besseren Verständnis dieser Systemkritik sei darauf verwiesen, dass Steinmeier erst seit einem knappen halben Jahr das nominell höchste Amt in Deutschland bekleidet und zuvor in unterschiedlichen Funktionen der SPD diente, die bei den Bundestagswahlen am 24. September die schwerste Niederlage ihrer Parteigeschichte erlitt und dafür, ebenso wie die ihrerseits deutlich dezimierte CDU/CSU-Union, Gründe suchen musste. Man fand sie, wenig überraschend, im massiven Erstarken der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD), was jedoch weiteren Klärungsbedarf erforderte und deshalb ruckzuck in einen griffigen Konsens mündete: Die Medien sind schuld!
Die Realität ist bekanntlich ein unberechenbares Biest, und wann immer sie sich erdreistet, der trügerischen Feel-good-Mentalität den Stinkefinger zu zeigen, wird liebend gern der Journalismus zur Verantwortung gezogen. Er habe das Biest erst groß gemacht, heißt es dann mit enervierendem Nachdruck: Hätte man ihm nicht taxfrei eine öffentlichkeitswirksame Bühne geboten, wäre es gar nie so weit gekommen. Österreich kennt diese Debatte aus den 1990er-Jahren, als die Meinungseliten Jörg Haiders Höhenflug nicht zuletzt massiven medialen Begleitgeräuschen zuschrieben. In Deutschland wird die Diskussion nun angesichts des vergleichsweise moderaten AfD-Wahlerfolgs spät, aber umso erbitterter nachgeholt. An vorderster Front profilieren sich dabei bizarrerweise auch Medienprofis im Selbstgeißelungsüberschwang. Gemünzt auf Donald Trump und eins zu eins umgelegt auf Gauland, Petry, Weidel & Co., geht „Spiegel“-Autor Georg Diez unter dem Titel „Wie der Rechtsruck herbeigetalkt wurde“ streng mit der eigenen Branche ins Gericht: „Die Medien (…) hatten einen entscheidenden Anteil an diesem Sieg, es war ein massives Versagen dieser Demokratiekraft, die sich die falschen Themen aufdrücken ließ, die falsche Prioritäten setzte und sich dem Sog der Stimmungen hingab, eine Scheu, das Böse beim Namen zu nennen, und eine letztlich fatale Vorstellung von Objektivität, die keine war.“
Medienkritik war immer schon die weinerliche Ersatzbefriedigung derer, die in der Öffentlichkeit schlecht wegkommen – oder es zumindest glauben.
Nichts davon trifft zu. Medien sind keine fremdbestimmten Erfüllungsgehilfen, die sich Themen und Prioritäten „aufdrücken“ lassen. Objektivität ist mitnichten eine Frage der „Vorstellung“, sondern der journalistischen Redlichkeit (erkenntnistheoretische Exkurse ersparen wir uns an dieser Stelle). Und „das Böse“ – heiße es nun Haider, Trump oder Gauland – wurde sehr wohl beim Namen genannt, explizit und wiederholt. Wenn „das Böse“ sich am Ende trotzdem durchsetzte, lag es weder daran, dass die Medien es totschwiegen, noch daran, dass sie es im Gegenteil überhaupt salonfähig machten, sondern schlicht daran, dass pluralistische Gesellschaften dazu tendieren, unterschiedliche Stimmungen auszubrüten. Einige davon entwickeln eine ernstzunehmende politische Stoßkraft. Die Aufgabe der Medien wiederum besteht darin, solche Prozesse zu erkennen, abzubilden und einzuordnen (wobei manche, zugegebenermaßen, anständiger agieren als andere).
Medienkritik war immer schon die weinerliche Ersatzbefriedigung derer, die in der Öffentlichkeit schlecht wegkommen – oder es zumindest glauben. Vor den Wahlen in Deutschland feuerten die Rechtspopulisten von Pegida und AfD aus allen Rohren gegen die „Lügenpresse“. Jetzt sind es die großkoalitionären Verlierer, die mit angeblich widrigen massenmedialen Verhältnissen hadern. Ganz falsch dürfte der berichterstattende Journalismus also nicht gelegen haben – was man untrüglich daran erkennt, dass er es offenbar niemandem recht machen kann.
Österreich wählt in zwei Wochen, und die Medienmaschinerie läuft auf Hochtouren. Zwei ehemals führende politische Kräfte, Eva Glawischnig und Reinhold Mitterlehner, treten bekanntlich nicht mehr an: Sie erklärten im Frühjahr ihren Rücktritt und sparten bei dieser Gelegenheit nicht mit scharfer Medienkritik. Auch für den Wahlabend ist mit einschlägigen Wortmeldungen zu rechnen – je nachdem, wer welche Einbußen erleidet. Aller Voraussicht nach wird ein Rechtsruck durch das Land gehen, und im Zweifelsfall stehen die Schuldigen jetzt schon fest: die, die ihn herbeigeschrieben, -getalkt und -gesendet haben.