Sven Gächter: Die Liberalismusfalle
Donald Trump wird also der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein. Schuld daran sind (abgesehen von jenen, die den misogynen, rassistischen und xenophoben Egomanen gewählt haben) ganz zweifelsfrei die für angewandte Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Eliten: zum einen die Demoskopen, die Trumps Triumph nicht vorhersahen, danach aber ganz genau wussten, warum; zum anderen wie immer und vor allem die „liberalen“ Medien, die den Politberserker mit so unerbittlicher Ablehnung überzogen, dass Millionen und Abermillionen von misogynen, rassistischen und xenophoben Eliteopfern am Ende gar nicht anders konnten, als ihn schnurstracks ins Weiße Haus zu schicken.
Wer sind denn diese unseligen, anscheinend von allen bevölkerungsaffinen Geistern verlassenen liberalen Medien? Im US-Wahlkampf waren es schätzungsweise 95 Prozent der überregionalen Tageszeitungen und Fernsehsender (bis auf den notorischen Rechtsfunk Fox News). Sie berichteten wahrheitsgemäß über Trumps skrupellose Businesspraktiken, seine wirren bis gemeingefährlichen Ansichten und atemberaubenden Verbalentgleisungen. Mit anderen Worten: Sie erledigten ihren Job nach den tradierten Regeln der journalistischen Zunft. Dass sie die Schreiereien und Infamien der „Make America Great Again“-Propaganda ihrerseits nicht ohne eine gewisse hysterische Faszination aufgriffen, liegt in der Natur des modernen Nachrichten- und Unterhaltungsgeschäfts: Man darf unliebsame Realitäten nicht einfach ignorieren – doch wenn man sie originalgetreu abbildet, droht man von ihnen überrollt zu werden.
Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar
In diese Falle tappen alle Medien, die nach Trump’scher Denkungsart als liberal zu gelten haben. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen Kampfbegriff, der in Deutschland und Österreich mit „Lügenpresse“ ein historisch verfängliches, weil NS-kontaminiertes Äquivalent gefunden hat. Wenn viele nun das Versagen des Liberalismus beschwören (nicht zuletzt in einigen liberalen Medien), tappen sie gleich in die nächste Falle. Der Liberalismus hat nicht versagt, er ist gescheitert – und zwar daran, das große Zivilisationsprojekt der Aufklärung gegen erbitterten wutbürgerlichen Widerstand zu verteidigen. Immanuel Kant definierte Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Donald Trump hat diesen Prozess im Alleingang umgedreht, unter dem tosenden Jubel von vielen Millionen Fans, die allen Ernstes glauben, ausgerechnet er gebe ihnen ihre Mündigkeit zurück.
Die dramatischen Zersetzungserscheinungen, denen die Medien, zumal die liberalen, ohnehin ausgesetzt sind, dürften durch die neuen Kraft- und Machtverhältnisse noch verschärft werden. „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, schrieb Ingeborg Bachmann. Tatsächlich halten immer mehr Menschen das Geschäft mit der Wahrheit für eine Zumutung, der man sich, wie wir seit dem 8. November 2016 wissen, sehr erfolgreich entziehen kann.