Die Vorstellung von Günter Grass in einem windschiefen Campingzelt hat etwas Belustigendes

Sven Gächter: Mediamarkt - Günter Grass

Mediamarkt

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Als wir vor Kurzem bei der Sichtung der aktuellen Nachrichtenlage wieder einmal etwas von Günter Grass hörten, fiel uns ein, dass wir schon länger nichts mehr von Günter Grass gehört hatten und darüber im Grunde auch nicht besonders traurig gewesen waren. Dankenswerterweise veröffentlichte der Nobelpreisträger keine neuen israelkritischen Gedichte ("Das Verdikt ,Antisemitismus' ist geläufig"), sondern beklagte im Rahmen der Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag der Schriftstellervereinigung PEN die dramatisch sinkende Breitenwirkung von konzertierten Autorenprotesten. Zweifellos schwang dabei auch gallige Bitterkeit in eigener Sache mit: So weit ist es gekommen, dass die Öffentlichkeit nicht mehr andächtig Spalier steht, wenn die Dichter und Denker tagespolitische Losungen ausgeben! Obwohl Grass in Wahrheit nur pro domo sprach, bezog er sich vordergründig auf einen von der Schriftstellerin Juli Zeh initiierten Aufruf gegen die Spähangriffe der NSA an die Adresse von keiner Geringeren als Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Bis heute hat Zeh keine Antwort erhalten. Wenn ich Jahrzehnte jünger wäre, hätte ich ein Zelt aufgebaut vor dem Kanzleramt, bis eine Antwort käme." Die Vorstellung von Günter Grass, 87, mit der ihm eigenen Selbstherrlichkeit massenmedial Hof haltend in einem windschiefen Campingzelt vor der Berliner Regierungszentrale, hat etwas durchaus Belustigendes. Juli Zeh, 40, wäre aber wohl nicht mit von der Partie: Auf die Frage, ob Grass für sie so etwas wie eine moralische Instanz darstelle, antwortete sie schon vor Jahren entgeistert mit Nein.

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Sven   Gächter

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