Sven Gächter

Sven Gächter Much more better

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Was macht Ernst Strasser jetzt eigentlich? Sieht er fern, liest er Zeitung, surft er im Internet, geht er spazieren, lernt er Englisch? Sitzt er zu Hause in einem abgedunkelten Zimmer, ein Häufchen heulendes Elend, vollgepumpt mit Tranquilizern und Antidepressiva? Hadert er mit der Unbill seines politischen Schicksals und wälzt zornig Verschwörungstheorien? Oder rotiert er bereits wieder, durchforstet – ganz der stramme Dynamiker, als der er immer gern auftrat – sein Telefon- und Mailverzeichnis nach nützlichen Idioten, die er allen läppischen Ereignissen zum Trotz weiterhin für sein persönliches Fortkommen instrumentalisieren könnte? (Und wer käme dafür noch infrage?)

Wenn es auf all diese prickelnd banalen Fragen schon keine Antwort gibt, dann vielleicht – irgendwann – wenigstens auf diese eine: Hat er sich ein einziges Mal die Videos an­geschaut, die den ehemaligen EU-Parlamentarier im Hoch­gefühl lobbyistischer Grandezza zeigen? „But if there is a … it’s possible to be under the … undercover, it’s much more better.“

Wie andere einschlägige Affären der jüngeren Geschichte – wir erinnern unter anderem an Hubert „The world in Vorarlberg is too small“ Gorbach, Walter „Wo woar mei Leistung?“ Meischberger oder Karl-Heinz „zu jung, zu intelligent, zu schön“ Grasser – hat auch die aktuelle um Ernst Strasser auf den ersten Blick eine unwiderstehlich komische Schlagseite – so komisch, dass man zeitweise Gefahr läuft, über der eklatanten Lächerlichkeit der Details den handfesten Skandalstoff im Kern aus den Augen zu verlieren. Am Tatbestand des Skandals darf jedoch nicht der geringste Zweifel aufkommen: Der frühere ÖVP-Delegationsleiter in Brüssel war augenscheinlich bereit, gegen eine Entschädigung von 100.000 Euro EU-Gesetzesänderungen im Sinne der zahlenden Klienten auf den Weg zu bringen. Dass die „Lobbygate“-Affäre von verdeckten Reportern der britischen „Sunday Times“ eingefädelt wurde und die legistischen Avancen des niederöster­reichischen Lockvogels ohne konkrete Folgen blieben, begründet keine mildernden Umstände für Ernst Strasser, dem sogar die eigene Partei nach Veröffentlichung der inkriminierenden ­Videos die Unschuldsvermutung verweigerte: Er legte – gewiss nicht aus freien Stücken – sämtliche Ämter und Funktionen umgehend nieder.

Bekanntlich gilt Rücktritt im Polit-Alltag der Republik nicht eben als weit verbreitetes Stilmittel. Ein zivilisatorischer Fortschritt also? Reines Wunschdenken! Tatsächlich haben Josef Pröll und seine Parteigranden keinen kühnen Paradigmenwechsel eingeleitet, sondern nur im allerletzten Moment versucht, die Causa ­Strasser von der ohnehin schwer angeschlagenen ÖVP zu ­isolieren – mit überschaubarem Erfolg: Laut einer am Freitag der Vorwoche im „Kurier“ veröffentlichten Umfrage trauen 67 Prozent der Bevölkerung einem Großteil der Politiker „fragwürdige Handlungen“ zu. Eine glatte Zweidrittelmehrheit im Land (quer durch alle Parteien) spricht ­ihrem demokratisch gewählten Personal somit prinzipiell das Misstrauen aus. Bei angestrengt euphemistischer Betrachtung könnte man diesen Wert als „alarmierend“ bezeichnen, in Wahrheit ­jedoch kommt er einer Bankrotterklärung des Systems gefährlich nahe.

Wovon sprechen wir, wenn wir vom „System“ sprechen? Davon, dass Betriebsunfälle der Marke Lobbygate peinlich, aber peripher und deshalb verschmerzbar sind? Oder vielmehr davon, dass der Betrieb fundamental auf Unfälle ­angelegt ist? Davon also, dass Politik zu einem Karneval der Geltungssucht und Geldgier verkommt und in der Öffentlichkeit auch nur mehr als solcher wahrgenommen wird? ­Davon, dass Figuren die Szene beherrschen, von denen man sich keinen Gebrauchtwagen der Welt andrehen ließe – nicht einmal gratis? Davon, dass Macht ein Privileg ist, das von ­notorischen Profiteuren ausschließlich zu ihrem ureigenen Vorteil missbraucht wird? Kurzum davon, dass Charakterschwäche in Kombination mit Dreistigkeit den sichersten Schlüssel zum Erfolg liefert?

Diese Sicht der Dinge erscheint ebenso defätistisch wie mehrheitsfähig. Sie wird in politischen Kreisen auch oft lautstark beklagt, derzeit vor allem in der ÖVP. Schmollender Konsens: Wie komme man dazu, sich als Partei für die Verfehlungen eines Einzelnen zu rechtfertigen? Ganz einfach: Dieser Einzelne bekleidete über viele Jahre hinweg Schlüsselfunktionen im Namen und Auftrag der Partei. Die Partei war von 2000 bis 2006 Motor einer Regierung, deren Bilanz aufgrund der Machenschaften einiger Mitglieder (und ihrer Freunde) fast wöchentlich neu geschrieben werden muss. Die Partei ist immer noch an der Macht (seit 1987 übrigens ununterbrochen) und trägt mit ihrer Personal- und Themen­politik auch abseits akuter Affären wenig zur öffentlichen Vertrauensbildung bei. Ähnliches gilt mit mehr oder minder großen Abstrichen für andere Parteien, was die Misere der ÖVP relativieren mag, den Gesamtbefund aber nur umso dramatischer gestaltet: ­Politik ist ein schmutziges Geschäft – aber es gibt immer und überall welche, die es gern verrichten.

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