Leitartikel von Sven Gächter

Sven Gächter Reizverschluss

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Die Reaktionen auf die vorwöchige profil-Coverstory, in der Arigona Zogaj zum „Menschen des Jahres“ gekürt wurde, waren zahlreich, und sie gliederten sich relativ paritätisch in zwei Kategorien: bedingungslos zustimmend oder bedingungslos hasserfüllt. Grauzonen gab es keine. Die posi­tiven Wortmeldungen waren überwiegend kurz und freundlich gehalten, die negativen zeichneten sich zum größten Teil durch Empörung und Unflätigkeiten aus.

Medien leben nicht zuletzt davon, Aufmerksamkeit zu generieren, und wenn es ihnen gelingt, müssen sie darauf gefasst sein, dass Aufmerksamkeit sich auch in starken Emotionen entladen kann. Die Wucht der Emotionen, mit ­denen wir vergangene Woche konfrontiert waren, sagt nicht das Geringste über die journalistische Qualität von profil aus, sie sagt jedoch sehr viel aus über die Stimmungslage im Land. Diese als beklemmend zu bezeichnen kommt ­angesichts des blanken Anti-Arigona-Furors einem Euphemismus gleich.

Dass bestimmte „Reizthemen“ polarisieren, liegt in der Natur der Sache. Die Ausländerdebatte etwa ist in den vergangenen Jahren kaum um neue stichhaltige Argumente bereichert worden, neu ist nur der Tonfall, mit dem sie mittlerweile in keinesfalls kleinen Kreisen geführt wird: ein triumphalistisch-rotziger Tonfall, der sich nicht einmal mehr bemüht, reaktionäre bis hetzerische Positionen notdürftig zu camouflieren. Die einzige Notdurft ist der Hass, und er bricht sich ungeniert Bahn – im Unterschied zu früher unter demonstrativer Preisgabe der Anonymität. Wer trägt die Schuld an diesem zivilisatorischen Versagen? Folgt man den Parolen der Rechten, dann sind es in erster Linie die Ausländer selbst, die kraft ihrer schieren Existenz eine Zumutung darstellen und sich dann, bitte schön, nicht auch noch wundern dürfen, wenn sie auf wenig Gegenliebe stoßen. Folgt man dagegen den Linken, dann sind es in erster Linie die Rechten, deren Programmatik sich in blinder Xenophobie erschöpft. Und folgt man dem Mainstream der vermeintlich moderaten Bedenken­träger, dann ist es die große Koalition, die sich beharrlich weigert, „die Stimmung in der Bevölkerung ernst zu nehmen“.

Tatsächlich muss man die rot-schwarzen Regierungen der vergangenen 20 Jahre ernsthaft in die Pflicht nehmen – aber nicht etwa deshalb, weil sie weit verbreitete Ressentiments schnöde ignoriert hätten, sondern weil sie diese Ressentiments immer bereitwillig aufgegriffen und für ihre Wahlzwecke instrumentalisiert haben. Jörg Haiders Ausländer-Volksbegehren von 1993, damals auch vom großkoalitionären Establishment noch heftig kritisiert, ist längst zur Richtschnur österreichischer Innenpolitik geworden. Asylanten gelten nach quasi amtlicher Sprachregelung ­bestenfalls als Schmarotzer, in aller Regel jedoch schlicht als Kriminelle; zwischen Flüchtlingen und Zuwanderern wird routinemäßig kein Unterschied mehr gemacht, und die ­Integrationsdebatte beschränkt sich darauf, den Islam zu ­dämonisieren.

Der gemeine Populismus hat auf ganzer Linie gesiegt, und das jämmerlichste Bild gibt dabei die in blanker Erosionspanik begriffene SPÖ ab. Um sich im tagespoli­tischen Hickhack gegenüber dem Koalitionspartner zu profilieren, vertritt die einst so stolz-humani­täre Sozialdemokratie Positionen, für die H. C. Strache sie jederzeit in einen Urheberschaftsprozess zwingen könnte. Der burgenländische Landeshauptmann würde das Bundesheer am liebsten flächendeckend patrouillieren lassen, um das akute Sicherheitsbedürfnis seiner Wähler zu stillen (siehe Interview Seite 18). Wer Hans Niessls, aber auch Werner Faymanns Äußerungen zum Vorgehen der Innenministerin im Zusammenhang mit der geplanten Erstaufnahmestelle für Asylwerber in Eberau studiert, kann sich des grotesken Eindrucks nicht erwehren, ausgerechnet Maria Fekter sei neuerdings ins Gutmenschenlager gewechselt – denn wie wäre ihr resolutes Eintreten für Flüchtlingsbelange anders zu erklären?

Das zivilisatorische Versagen, an dem Österreich krankt, ist so simpel wie fatal: Es unterstellt, dass die Ursache fast aller Probleme die Ausländer sind und dass durch deren Abschaffung die meisten Probleme sich von selbst erledigen würden. Die Politik macht sich schuldig, indem sie diese Stereotypen aggressiv schürt oder aber feige ausnützt, um an der Macht zu bleiben. Deshalb konnte eine zierliche 17-jährige Kosovarin zur Reizfigur werden, und deshalb muss sie sich von entfesselten Inländern als „Drecksau“, „Hure“ und „Schlampe“ beschimpfen lassen. Spätestens an diesem Punkt muss man die Frage stellen, wo das wahre „Gesindel“ lebt.

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Sven   Gächter

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