Leitartikel von Sven Gächter

Sven Gächter Systemfehlerquoten

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Der tödlichste Witz der Welt geht so: „Wenn ist das Nunstück git und Slotermeyer? Ja! … Beiherhund das Oder die Flipperwaldt gersput!“ Tödlich ist der Witz deshalb, weil jeder, der versucht, ihn zu erzählen (oder auch nur zu lesen), vor Lachen darüber auf der Stelle stirbt. Lustig wiederum ist er deshalb, weil er in einem Sketch der britischen Kultkomiker Monty Python vorkommt, der den Verlauf des Zweiten Weltkriegs, namentlich die Luftschlacht zwischen Großbritannien und Deutschland, in ein völlig neues Licht rückt.

Nach Sigmund Freud ist der Witz eine Technik des Unbewussten zur Sublimation von Konflikten mit dem angenehmen Nebeneffekt des Lustgewinns, der auf einer vor­übergehenden Ausblendung von Verdrängtem basiert: „Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narzissmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs.“ Im Lachen über einen Witz vollzieht das narzisstische Ich eine Selbsttröstung im Angesicht des Elends der Welt.

Es erscheint legitim anzunehmen, dass Gerhard Dörfler weder mit dem Œuvre von Monty Python noch mit jenem von Sigmund Freud intim vertraut ist – was den Kärntner Landeshauptmann aber keineswegs daran hindert, ein, freundlich ausgedrückt, eigenwilliges Humorverständnis zu pflegen. Dass er über seine Witze allen Ernstes herzhaft ­lachen kann, wirft, frei nach Freud, Fragen über zeitgenössische Ausformungen des Narzissmus auf, deren Antworten Dörfler besser erspart bleiben – vorausgesetzt, er verstünde sie überhaupt. Dass tatsächlich niemand außer dem knorrigen Provinzpolitiker selbst über den mittlerweile mediennotorischen „Negerwitz“ lachen mochte, stellt für Österreich wiederum nur eine sehr klägliche Selbsttröstung dar, denn es gäbe für dumpfsinnige Spaßvögel eine weitaus drakonischere Höchststrafe, als ihnen lediglich den erhofften Heiterkeitserfolg zu verweigern: Man könnte sie auch umstandslos aus den Innenbezirken einer ­zivilisierten Kulturgemeinschaft ausschließen.

Ein flüchtiger Blick auf die politische Szene zu Beginn des Jahres 2009 legt den Verdacht nahe, dass es mit der zivilisierten österreichischen Kulturgemeinschaft ohnehin nicht sonderlich weit her ist. Gerhard Dörfler mag zu unbedarft sein, um als Kronzeuge für die galoppierende Verlotterung der Sitten zu taugen, doch er befindet sich in durchaus illustrer Gesellschaft. Als Dritter Nationalratspräsident fungiert seit Kurzem ein Mann, dessen Zugehörigkeit zu der alles andere als linksliberalen schlagenden Burschenschaft Olympia ihn offenbar ebenso wenig für höchste politische Weihen disqualifiziert wie die Tatsache, dass einige seiner engsten Mitarbeiter Kunden bei einem rechtsextremen Internet-Versand waren. Die Grazer FPÖ-Politikerin Susanne Winter schaffte es mit einem derb-antiislamischen Wahlkampf ins Parlament (immerhin wurde sie vergangene Woche wegen Verhetzung und Herabwürdigung religiöser Lehren – nicht rechtskräftig – zu einer Geldstrafe von 24.000 Euro und ­einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt). Und auch abgesehen von Winter ist der Nationalrat so rechts imprägniert wie seit Langem nicht mehr.

Könnte man von Einzelfällen sprechen, wäre es immer noch schlimm genug. Doch die Einzelfälle treten inzwischen so gehäuft auf, dass dahinter ohne falschen Alarmismus ein Systemfehler vermutet werden darf, der die hässliche Eigenschaft hat, zur Normalität mutiert zu sein. Mehr oder minder aufgeregt, aber letztlich schulterzuckend wird hingenommen, dass ein Landeshauptmann habituell diskriminierende Scherze reißt, dass ein hochrangiger Repräsentant der Republik ­seine ideologische Heimat in einer Organisation gefunden hat, die 2005 keine Skrupel zeigte, den ­Holocaust-Leugner David Irving einzuladen, und dass Nationalratsabgeordnete offen und hartnäckig menschenverachtende Positionen vertreten. Selbst die trotzig-inkompetente Performance der Innenministerin nach dem Tsche­tschenenmord in Wien fügt sich in das traurige Gesamtbild einer Demokratie, die noch immer keine selbstverständliche Einsicht in die Notwendigkeit schonungsloser Selbstreinigungsprozesse entwickelt hat.

Doch was heißt noch immer? In Wahrheit verdichten sich die Indizien, dass Österreich nach der schwarz-blauen Wende im Jahr 2000 ein krasses Psychohygiene-Defizit ausgebildet hat. Was zuvor immerhin noch Gegenstand ernsthafter, wenn auch teilweise erbitterter Kontroversen gewesen war, wird mittlerweile routinemäßig ­einer nicht weiter diskussionswürdigen Tagesordnung zugewiesen. Und wer (wie profil und eine Hand voll anderer Medien) partout nicht davon abrückt, die uneingeschränkte Beachtung zentraler, in der Verfassung niedergelegter Grundprinzipien einzufordern, muss sich im Gegenzug den Vorwurf gefallen lassen, damit das Geschäft der Gegenseite zu betreiben – also all jener, die kein Hehl daraus machen, was sie von diesen Prinzipien halten. Ein pseudosubtiler Treppenwitz, der so schlecht ist, dass er von Gerhard Dörfler stammen könnte.

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Sven   Gächter

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