Sven Gächter: Der Boulevard ist endgültig in der autofokussierten Jetztzeit angekommen

Sven Gächter: Vox populi goes Selfie

Der Boulevard ist endgültig in der autofokussierten Jetztzeit angekommen: Vox populi goes Selfie.

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Rezarta Krasniqi, 27, Industriekauffrau aus Dettingen, sagt NEIN. ­Dominik Jung, 37, Diplom-Meteorologe aus Stadecken-Elsheim, sagt NEIN. Dagmar Jäkel, 55, Bademeisterin aus Sinzig, sagt NEIN. Auch Dr. Horst Gross, 59, Anästhesist aus Berlin, und Salvatore Carraffa, 37, Finanzberater aus Karlsruhe, sagen NEIN. Dasselbe gilt für Steffen Beier, 52, Maurer aus Bad Schmiedeberg, Thomas Quanz, 39, Qualitätsmanager aus Talheim, sowie Angelika Just, 53, Verwaltungsleiterin aus Coswig: „BILD-Leser sagen NEIN!"

Vergangene Woche zündete Deutschlands auflagenstärkste Zeitung den Superturbo in ihrer seit Jahren munter schwelenden Anti-Hellas-Kampagne: „Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen!“ Leser wurden angehalten, eine kundengerecht präparierte „Bild“-Seite mit dem format­füllenden Aufruf „NEIN!“ herunterzuladen, auszudrucken und in die Smartphone-Kamera zu halten. Volkes dumpfe Stimme, eingefangen in Tausenden von gleichgeschalteten Selbstporträts: Vox populi goes Selfie. Damit ist der Boulevard endgültig in der autofokussierten Jetztzeit angekommen.

Pflichtschuldig forderte der Deutsche Journalistenverband von „Bild“, die Aktion sofort einzustellen, denn sie „verbietet sich mit der beschreibenden Aufgabe des Journalismus“, womit zweifelsfrei dokumentiert ist, dass auch auf der moralisch korrekten Seite des Medienkomplexes Grundkenntnisse der deutschen Sprache offenbar nur rudimentär ausgeprägt sein müssen. Und solange die „Bild“-Macher zumindest „NEIN“ richtig schreiben können (mit oder ohne Rufzeichen), werden sie nicht zu Kreuze griechen.

Sven   Gächter

Sven Gächter