Sven Gächter: Wie viel Modernität verträgt die ÖVP?
Zu den zermürbenden Aspekten der Job-Description von Berufspolitikern gehört, dass von ihnen permanent Antworten erwartet werden. Fragen dürfen immer nur andere: toughe TV-Moderatorinnen ("Noch einmal: ja oder nein?), süffisante Journalisten ("Haben Sie Ihre Halbwertszeit schon überschritten?), zudringliche Wahlberechtigte ("San Sie der ausm Fernsehen?). Umso anrührender in seinem Gestus aufrichtiger Orientierungssuche wirkte der neue ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner, als er zum Auftakt des Projekts "Evolution Volkspartei - Wir sorgen für Bewegung ohne Umschweife einen besonders kühnen Denkanstoß in den Raum stellte: "Soll ich auch zu Twitter? Dahinter steckt natürlich weit mehr als die banale Frage nach einem entsprechenden Account oder der praktischen Fähigkeit, das in der Politik gängige Floskelwesen auf das medientypisch knappe Format von 140 Zeichen herunterzubrechen. Es geht um eine prinzipielle Sinnfindung: Wie viel Modernität verträgt die ÖVP? Wenn der neue Hoffnungsträger öffentlich darüber rätselt, ob es nicht unter Umständen angezeigt wäre, sich auf die sozialen Netzwerke einzulassen, hat er entweder die Zeichen der Zeit verstanden (wenn auch nur irgendwie und reichlich verspätet), oder er offenbart mit seiner rhetorischen Treuherzigkeit ("Soll ich auch zu Twitter?) in einer selbst nach Twitter-Maßstäben radikalen Prägnanz (25 Zeichen!) die Misere einer Partei, die es partout nicht schafft, in der Gegenwart anzukommen, und sich trotzdem, halb ohnmächtig, halb beleidigt, über das hartnäckige Ausbleiben politischer Erfolge wundert. Wer dauernd die falschen Fragen stellt, kommt niemals auf die richtigen Antworten.