Leitartikel von Sven Gächter

Sven Gächter Wiederbetätigungsfelder

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Da standen sie, die Gehetzten und Verfemten, die Verfolgten und Besudelten – traut und trotzig vereint auf der Freiluftbühne am Viktor-Adler-Markt: Martin Graf, staatsmännisch seriös in schwarzem Anzug und blütenweißem Hemd; Heinz-Christian Strache, jugendlich casual mit Pullover, kariertem Hemd und Freizeitjacke („Übergangsblouson“ hätte man früher gesagt). Zuvor hatte die John Otti Band, der freiheitlichen Bewegung seit Langem verbunden, rechtschaffen eingeheizt und ihrem aktuellen Tournee-Motto „Power to the People“ alle Ehre gemacht.

Die Party-Atmosphäre war trügerisch. Strache nutzte seine Brandrede, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen. „Man will uns offenbar zu Freiwild erklären, man will uns zu den Verfolgten der Neuzeit machen“, tobte er, bis ins Mark empört. Eine unselige Allianz aus „Heimatnestbeschmutzern“ und einer „afrikanisch-asiatisch-amerikanischen Union“ habe sich gegen die FPÖ und deren Repräsentanten formiert, unterstützt von einem medialen „Netzwerk der Manipulation“. Und wer die Botschaft bis dahin immer noch nicht verstanden hatte, bekam sie der Eingängigkeit halber in kompakter Form nachgereicht: „Es gibt wirklich ein Naziproblem, ein rotes Naziproblem

Es gibt vielleicht wirklich ein Naziproblem in Österreich, doch es besteht mit Sicherheit nicht darin, dass die FPÖ ihrer Positionen wegen zu Unrecht diffamiert würde. Wenn eine Partei, deren Kampagnen seit jeher auf den Grundton der Verhetzung gestimmt sind, die Freiwild-Metaphorik für sich beansprucht, so kommt dies einer bestenfalls lächerlichen, in Wahrheit aber schlicht abgefeimten Verdrehung der Tatsachen gleich. Dass derlei schamloses Mitleidsgeseier bei der Stammklientel verfängt, kann getrost vorausgesetzt werden, denn die FPÖ-Stammklientel ist bekanntlich wenig wählerisch, was den Reinheitsgrad von Inhalten betrifft.

Der offiziell wichtigste Funktionär der FPÖ heißt Martin Graf. Als Dritter Natio­nalratspräsident bekleidet er eines der zentralen Ämter der Republik. Aus seiner ideologischen Herkunft macht er kein Hehl, und seine Überzeugungen vertritt er mit jener schmissigen Unbedingtheit, ­­
die in gestandenen Burschenschafterkreisen ­traditionell zum guten Ton gehört. Zuletzt hielt Graf es für opportun, Ariel Muzicant, den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, als „Ziehvater des Linksterrorismus“ zu verunglimpfen, was selbst unter der Annahme, dass Muzicant seinerseits mit dem einen oder anderen Goebbels-Vergleich ein wenig übers Ziel hinausschoss, eine Ungeheuerlichkeit darstellt, die man in Österreich, einem Vaterland des Holocaust, ­keinem Politiker, geschweige denn einem nominell so hochrangigen, durchgehen lassen darf.

Der obligate Entrüstungssturm blieb zwar nicht aus, ­beschränkte sich aber auf das hierzulande übliche Routineritual folgenloser Erregung. Immerhin war Graf mit den Stimmen der Regierungsparteien ins Amt gewählt worden, und zumindest die ÖVP hat damit offenbar bis heute kein Problem – sie könnte sich ja einer Koalitionsoption entschlagen, und sei diese noch so unwürdig.

Tatsächlich geht es in der Causa Graf und allen vergleichbaren Wiederholungsphänomenen um nicht ­weniger als den antifaschistischen Grundkonsens der Republik, der allem Anschein nach nicht annähernd so selbstverständlich ist, wie man annehmen dürfen sollte – von dem Martin Graf laut eigenem Bekunden aber ohnehin nichts hält. Die FPÖ profitiert nicht zuletzt von einer pseudoliberalen Denkschule, die davor warnt, dem freiheitlichen Unwesen allzu viel Aufmerksamkeit – sprich: Bedeutung – zuzugestehen, weil man den Zündlern damit nur in die Karten spiele. Doch was wäre die Alternative? Die blauen Provokationen nobel ignorieren, in der fehlgeleiteten Hoffnung, sie dadurch gleichsam zu dematerialisieren? Diesen schlechterdings ignoranten Zugang pflegen rote und schwarze Machttaktiker seit Jahren ohnehin schon, mit dem Ergebnis, dass sie die Grenzen dessen, was in einer aufgeklärten Demokratie tragbar ist und was nicht, bis zur Unkenntlichkeit verwischt haben.

Es ist ein fataler Irrtum zu glauben, man verhelfe Strache, Graf, Mölzer & Co zur Salonfähigkeit, indem man sich immer und immer wieder in aller Schärfe von ihnen abgrenzt und sie für ihre Exzesse ächtet oder sogar zur Verantwortung zieht. Die Salonfähigkeit der blauen Sprengmeister ist im Gegenteil das Resultat einer ebenso windelweichen wie fahrlässigen Appeasement-Strategie, die von der Gegenseite inzwischen zu Recht verhöhnt wird. Es gibt in Wahrheit nur eine sowohl moralisch redliche als auch ­politisch legitime Haltung zu den Machenschaften der FPÖ: ­bedingungslose Ablehnung.

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Sven   Gächter

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