Meinung

Tabuthema Pension: Ignorieren nützt niemand

Die Regierung drückt sich davor, das heikle Thema anzupacken. Das ist mutlos und kurzsichtig. Ohne Reformen wird es nicht gehen. Platter Alarmismus hilft aber auch nicht weiter.

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Eigentlich ist Finanzminister Magnus Brunner eine erfrischende Erscheinung im Regierungsteam. Er redet oft Klartext und scheut sich auch nicht davor, knifflige und lang aufgeschobene Bereiche anzupacken: die Abschaffung der kalten Progression etwa. Oder den komplexen Finanzausgleich, ein milliardenschweres Tauziehen zwischen Bund und Ländern. Nur vor einem Tabuthema gibt selbst Frohnatur Brunner w. o.: das Pensionsalter. Das werde „eine Aufgabe der nächsten Regierung sein“.

So kann man das eigene Scheitern auch formulieren. Im Koalitionsprogramm von ÖVP und Grünen findet sich zur verzwickten Frage Pensionssystem nichts. Konsequenterweise drückte sich die Regierung davor, unpopuläre Änderungen vorzuschlagen. Das ist so mutlos wie kurzsichtig. Nicht ohne Grund drängen mit dem Rechnungshof, der OECD, dem Währungsfonds oder dem Institut für Höhere Studien alle Expertengremien darauf, die wachsenden Kosten nicht mehr zu ignorieren.

Man muss wirklich keinen Nobelpreis in Versicherungsmathematik gewonnen haben, um grob kalkulieren zu können, dass sich das auf Dauer schwer ausgehen kann.

Eva Linsinger

Denn die Zahlen sprechen eine überdeutliche Sprache: Satte 30 Milliarden Euro buttert der Staat nächstes Jahr in Pensionen – damit geht ein Viertel aller Ausgaben nur für Alterssicherung drauf. Oder, anders gerechnet: Die Summen, die in Pensionen fließen, sind sechs Mal so hoch wie die Gelder für Klima, Umwelt und Energie – kein Wunder, dass für diese Zukunftsausgaben dann die Mittel fehlen. Wegschauen und abwarten wird nicht weiterhelfen, im Gegenteil: Seit Anfang der 1970er-Jahre hat sich die Zahl der Pensionistinnen und Pensionisten mit 2,5 Millionen Menschen fast verdoppelt, gleichzeitig erhöhte sich die Lebenserwartung um fast zehn Jahre. Das wäre eigentlich eine gute Nachricht. Nur: Das Alter, in dem Menschen in den Ruhestand wechseln, blieb seit den 1970er-Jahren mit rund 62 Jahren bei Männern und 60 Jahren bei Frauen so gut wie gleich. Man muss wirklich keinen Nobelpreis in Versicherungsmathematik gewonnen haben, um grob kalkulieren zu können, dass sich das auf Dauer schwer ausgehen kann.

Demografie ist keine Raketenwissenschaft. Die Probleme im Pensionssystem kommen alles andere als überraschend – doch alle Warnungen wurden locker beiseite gewischt: Eigentlich sollte seit dem Jahr 2017 eine sogenannte Alterssicherungskommission das Pensionssystem überwachen. Ihr Leiter warf allerdings vor zwei Jahren frustriert das Handtuch, weil die Politik seine Ratschläge einfach in den Wind schlug. Seither hat die Kommission keine Leitung mehr. Und die Langfristgutachten erscheinen nicht. Auch ein Weg, ein Dilemma totzuschweigen. Aber wirklich kein zukunftsträchtiger.

Bis heute scheuen sich Betriebe, Menschen über 50 einzustellen. Derartige Altersdiskriminierung gehört endlich ernsthaft bekämpft.

Eva Linsinger

Plumper Alarmismus hilft aber auch niemand weiter. Das Pensionssystem wird „wie ein Kartenhaus zusammenklappen“, warnte drastisch ein Zeitungsartikel vor dem nahenden Bankrott – und zwar schon am 29. März 1959 (nein, kein Tippfehler). Das vermeintliche Kartenhaus steht noch – wenn auch reichlich wackelig. Zwischen den hysterischen Polen schrill Krankjammern und faktenbefreit Schönreden schwankt die Nichtpensionsdebatte seit Jahrzehnten – höchste Zeit, nüchtern ein paar Schieflagen zu beseitigen.

Erstens: Österreich war lange Frühpensionsweltmeister. Egal ob Unternehmen ihre Bilanz aufmotzen wollten oder die Chefs nervten – die Antwort lautete von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern stets: Schnell ab in Pension! Das wirkt lange nach. Bis heute scheuen sich Betriebe, Menschen über 50 einzustellen, wie eine Analyse des Arbeitsmarktservice gerade diese Woche detailliert zeigte. Am Jobmarkt wird umgedacht werden müssen, in Zeiten des grassierenden Arbeitskräftemangels ganz besonders. Denn es wäre schon viel erreicht, wenn das gesetzliche Pensionsalter von 65 Jahren auch nur annähernd erreicht würde und die Österreicher im statistischen Durchschnitt nicht vier Jahre früher in Pension gehen – ob freiwillig oder unfreiwillig von den Arbeitgebern dazu gedrängt. Derartige Altersdiskriminierung gehört endlich ernsthaft bekämpft, auch mit niedrigeren Lohnnebenkosten und gesenkten Steuern auf Arbeit.

Zweitens: Vor wenigen Tagen kündigte die Regierung an, Luxuspensionen zu kürzen. Das ist gut und wichtig, nur: Schon in den 1990er-Jahren gelobte die damalige SPÖ-ÖVP-Koalition, alle Sonderpensionen im staatsnahen Sektor, von Nationalbank bis zu Energieversorgern, zu durchforsten. Seither wurde immer und immer wieder vollmundig versprochen, die prallen Pensionsparadiese zu beenden. Höchste Zeit, das auch umzusetzen – das würde viel Geld sparen.

Drittens: Das Pensionssystem ist umso leichter finanzierbar, je mehr Menschen beschäftigt sind. In den 1950er-Jahren etwa waren nur 48 Prozent der Frauen berufstätig, heute sind es rund 70 Prozent. Die Hälfte der Frauen arbeitet derzeit Teilzeit, beileibe nicht alle davon freiwillig. Das Rezept dagegen ist längst erfunden – mehr Kindergartenplätze.

All das könnte man sogar in einem Wahljahr angehen. Denn Totschweigen wird am Pensionsproblem gar nichts ändern.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin