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Alles oder nichts?

Beim Thema KI kennt sich keiner mehr aus. Selbst die Experten sind sich uneins, was KI nun wirklich kann, wozu sie gut ist – und ob sie überhaupt was bringt. Woher sollen wir wissen, was stimmt? Wie kann man sich in Sachen KI überhaupt orientieren?

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Pauschale Extrempositionen führen in der KI-Debatte zu nichts, Besserwisserei ist ebenso fehl am Platz wie haltlose Spekulation. Die Behauptung, ein KI-Sprachmodell wie ChatGPT sei nur ein strunzdummer, nutzloser Plapperautomat, ist genauso lächerlich wie die Warnung vor einer Superintelligenz, die uns schon morgen womöglich alle auslöschen wird. Wir sind schlicht nicht in der epistemischen Position, um sagen zu können, was KI „wirklich bringt“. Mit anderen Worten: Wir wissen es nicht nur nicht – wir können es nicht wissen.

Niemand kann heute sagen, wie sich die Systeme weiterentwickeln. Wir haben keine Ahnung, welche Fähigkeiten sie in zwei oder fünf Jahren haben werden. In gewissem Sinne wissen wir nicht einmal, was sie bereits heute können. Vielleicht ist aber auch die Frage falsch gestellt. Es geht nicht primär darum, was KI wirklich kann. Die Frage ist vielmehr, was wir von der KI wollen. Welchen Nutzen wir von ihr erwarten. Das ist eine ganz andere Perspektive.

Nehmen wir ein simples Beispiel. Sie machen gerade Urlaub in einem fremden Land, dessen Sprache Sie nicht sprechen. Vielleicht kommen Sie in eine Situation, in der Sie sich mit Einheimischen verständigen müssen. Also bitten Sie ChatGPT-4o, für Sie zu übersetzen.

Wenn Ihnen die Übersetzung weiterhilft, dann hat Ihnen die KI etwas gebracht. Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, wie intelligent das System wirklich ist. Sprachmodelle wie ChatGPT können mittlerweile eben sehr gut übersetzen, manche andere Dinge können sie dafür nicht.

Fragen Sie sich einfach, was die KI für Sie tun könnte – und dann schauen Sie, ob sie es auch wirklich kann!

Das kann eine Checkliste zur Reisevorbereitung sein, ein Coaching für ein Vorstellungsgespräch oder irgendetwas ganz anderes. Welchen Nutzen KI für Sie hat, das müssen Sie selbst herausfinden. Vermutlich werden Sie schnell feststellen, dass etwa ChatGPT nicht alles gleichermaßen gut kann. Dass der Chatbot zum Beispiel sehr gut Texte übersetzen oder zusammenfassen kann, zugleich jedoch an einfachen Logikaufgaben scheitert. Dass er es mit den Fakten nicht allzu genau nimmt und gelegentlich auch einfach konfabuliert, sprich: Unsinn erzählt.

Solche Fehlleistungen zeigen vielleicht, dass KI nicht alles kann, wie manche Enthusiasten glauben. Daraus folgt aber schon logisch nicht, dass sie gar nichts kann. Und es reicht im Grunde, wenn sie genug kann, um uns bei bestimmten Dingen weiterzuhelfen, wie beim Übersetzen im Urlaub. Analog gilt das letztlich für die gesamte KI-Diskussion. Vom Unternehmen über die Schule bis zu Justiz und Gesundheitssystem: In allen Bereichen sollten wir uns fragen, was wir von der KI wollen. Wo wir sie wirklich brauchen, wo sie uns wirklich nützen kann. Umgekehrt müssen wir uns auch fragen, in welchen Bereichen wir sie nicht brauchen – und vielleicht gar nicht haben wollen. Im eigenen Leben wie in Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Frage, was künstliche Intelligenz wirklich bringt, lässt sich nicht abstrakt beantworten. Die Antwort geben wir Menschen ganz konkret durch die Dinge, die wir mit KI tun. In vielen Bereichen haben wir es heute mit gigantischen Datenmengen zu tun, die Menschen nicht mehr überblicken können. Zugleich stehen wir vor immer komplexeren Problemen, von der modernen Krebsdiagnostik bis zum Klimawandel. Schon deshalb können wir es uns schlicht nicht leisten, auf die neuen Möglichkeiten der KI zu verzichten, womöglich aus besserwisserischer Überheblichkeit. Es geht bei KI eben nicht um „alles oder nichts“, „schwarz oder weiß“, „gut oder böse“.

KI kann uns auch helfen, wenn sie nicht alles kann. Wir müssen nur herausfinden, ob sie das kann, was wir von ihr wollen. Und was überhaupt die Fragen sind, auf die sie uns eine Antwort geben soll. Zu wissen, was wir Menschen wollen: das ist vielleicht eine der größten Herausforderungen, vor denen wir im Umgang mit KI stehen.

Thomas Vašek

Thomas Vašek

war in den 1990er-Jahren Investigativjournalist bei profil. Heute ist er Co-Chefredakteur der Zeitschrift „human“, die sich mit den Auswirkungen von KI auf Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur beschäftigt.