Trump könnte Europa heilen
Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird Donald Trump die US-Wahl im Herbst wohl gewinnen und erneut Präsident werden. Das hat vor allem zwei Gründe, die beide wenig mit ihm selbst zu tun haben. Erstens: Das Schuss-Attentat hat Donald Trump zum Märtyrer gemacht. Zweitens: Die unterirdische Performance seines demokratischen Konkurrenten Joe Biden, der sich weigert, die Bühne zu räumen. In Europa galt Biden lange als gesetzt, kaum jemand glaubte ernsthaft an einen Sieg Trumps. Darauf ist man auch nicht vorbereitet – und das ist ein riesiges Problem.
Die EU ist unter US-Präsident Joe Biden außenpolitisch schwach und nur wenig selbstbewusst aufgetreten. Eigene, starke Positionen suchte man vergeblich – und die waren fairerweise auch nicht unbedingt notwendig. China , Russland, die Ukraine, Klimapolitik: Es herrschte großteils Konsens. Unter einem US-Präsidenten Trump würde sich das wohl rasch ändern. Mit Putin fremdelt Trump nicht besonders, dass die Ukraine militärisch weiterhin so intensiv unterstützt würde, ist zu bezweifeln – und Klimaschutz ist ihm komplett egal. Einzig die kritisch distanzierte Haltung zu China bliebe fürs Erste als verbindende Basis mit der europäischen Union übrig.
Nur, wer soll in Europa mit Trump auf Augenhöhe verhandeln? Wer kann ihm die Stirn bieten? Bisher traten vor allem Deutschland oder Frankreich als einzelne Mitgliedstaaten stellvertretend für die EU tonangebend auf. Die Regierungschefs beider Länder sind nach den vergangenen EU-Wahlen aber geschwächt. Auch sonst gibt es weit und breit niemanden, der hier als starker Player auftreten könnte. Gut: Es ist anzunehmen, dass sich Ungarns Premier Victor Orbán als Trumpversteher wichtig machen würde – und vielleicht würde er sogar symbolisch zur Inauguration eingeladen werden. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass er wirklich etwas erreichen könnte – oder die USA dem wirtschaftlich strauchelnden Ungarn einen einzelnen Cent geben würden. Man erinnere sich an Großbritanniens Ex-Premier Boris Johnson, der sich in der Vergangenheit an Trump ranschmiss, außer warme Wort am Ende aber auch nur wenig bekam.
Apropos Großbritannien, dort wurde gerade gewählt. Es zeichnet sich ab, dass die neue Regierung unter dem Labour-Premier Keir Starmer eine deutliche Annäherung an die EU anstrebt – und das ist gut. Nach knapp zehn Jahren im wirtschaftlichen Hinterland und einem folgenschweren Brexit, verspricht Starmer das Land zu alter Stärke zurückzuführen. Ein strategisch geschickter Schritt dazu wäre, mit der EU in sicherheitspolitischen und außenpolitische Fragen gemeinsame Positionen zu suchen. Was Israel oder die Ukraine betrifft, hat das Großbritannien schon bisher getan und zeigte hier sehr eindeutig Flagge – was die Beziehungen zur EU deutlich erwärmten. Es ist anzunehmen, dass sich Großbritannien im Fall eines Trumpwahlsiegs auch als ernst zu nehmender Gegenspieler gemeinsam mit der EU aufstellen will, um auf die Weltbühne zurückzukehren.
Damit die Union ihrerseits ein starker Partner sein kann, muss sie aber zuerst schaffen, eine einige, starke außenpolitische Stimme zu formen. Das bedeutet, dass die Rolle der einzelnen Mitgliedsstaaten kleiner werden muss und die der EU-Kommission bedeutender. Die wird nach der EU-Wahl im Juni gerade neu aufgestellt. Die Mitgliedsstaaten verhandeln in ihren Regierungen auf Hochtouren, wer entsendet wird. Es sollten nur die Besten sein, denn je hochkarätiger die Kommissare sind, desto stärker ist das Gremium. Das Amt des EU-Außenbeauftragten ist angesichts der Weltlage eine absolute Schlüsselposition: Dafür ist die estnische Premierministerin Kaja Kallas vorgesehen. Eine Frau mit Format und Schneid, deren Namen man sich wohl eher merken wird als den ihres Vorgängers Josep Borrell. Kallas wird neben Von der Leyen bei Verhandlungen Trumps Gegenüber sein. Das ist an sich keine leichte Rolle – Anbetracht der Tatsache, wie ernst Trump Frauen generell zu nehmen scheint, noch weniger .
Ein US-Präsident Trump würde für Europa große Probleme und Herausforderungen bedeuten – auch angesichts der Tatsache, dass ihm wohlgesonnene, rechte, erstarkende Kräfte a la Orban, FPÖ oder Le Pen eher auf Zersplitterung in Nationalstaaten setzen als auf die Bündelung deren Kräfte. Es könnte aber auch die Chance einer Heilung sein. Die zerfledderte Union könnte angesichts der Notwendigkeit einem übermächtigen Gegner entgegentreten zu müssen, enger zusammenwachsen. Es würde einzelne Mitgliedsstaaten endlich dazu zwingen, egoistische Haltungen für das große Ganze hintanzustellen. Das wäre sowieso notwendig, denn das hat bisher viele wichtige Reformen schlicht verunmöglicht.