Gastkommentar

Unsozialer Wohnbau

Die Wohnbaupolitik beruht auf dem Denkfehler, Objekte statt Menschen zu fördern. Dadurch kommt die Förderung nur zu einem kleineren Teil bei wirklich Bedürftigen an. Sinnvoll wäre eine direkte Unterstützung jener, die Hilfe brauchen. Ein Gastkommentar von Veit Dengler und Wolfram Proksch.

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Dass das Land Wien schon in den 1920er-Jahren eine auch international viel beachtete Vorreiterrolle im sozialen Wohnbau übernahm, ist nicht vergessen. Der Slogan der SPÖ, „man darf nicht an der Adresse erkennen, was ein Mensch verdient“, hat insofern funktioniert, als Wien die Herausbildung von Ghettos vermieden hat und Sozial- und Genossenschaftswohnungen weit über die Stadt gestreut sind. Dieser historische Erfolg mündete aber leider in eine Hybris aus schlechter Planung, mangelnden Sanierungen und de facto unsozialen Gesetzen.

Laut einer Schätzung der Statistik Austria aus dem Jahr 1985, als Wien 1,5 Millionen Einwohner hatte und schrumpfte, sollten 2015 noch 1,26 Millionen Menschen in Wien leben. Aktuell hat Wien jedoch zwei Millionen Einwohner, 50 Prozent mehr, als man in den 1980er-Jahren prophezeite. Diese enorme Fehlplanung schlug auf den Wohnungsmarkt durch. Wohnbauwidmungen wurden nur mangelhaft an die aktuellen Prognosen angepasst.

Aus diesem Grund, wie auch wegen des EU-Ziels, bis 2050 netto null Flächenverbrauch zu erreichen, sollten Sanierungen und Verdichtungen im Baubestand oberste Priorität haben. De facto ermutigt die Politik das Bauen auf der grünen Wiese, was betriebswirtschaftlich günstiger ist als Sanierungen von Altbauten, für den Bodenverbrauch und volkswirtschaftlich aber teurer ist.

Ein Beispiel ist die Seestadt Aspern. Die Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche betrugen rund die Hälfte der Sanierungskosten eines Gründerzeithauses. Die Infrastrukturkosten (U-Bahn- und Straßenbau, Kanalisation, Fernwärme usw.), die beim Altbestand größtenteils „bezahlt“ sind, betrugen in Aspern nochmals 2,5 Milliarden Euro – circa 300.000 Euro pro Wohnung.

Der größte Selbstbetrug der Wohnbaupolitik sind jedoch das Mietrechtsgesetz und das Richtwertsystem. Mieten in Altbauten (vor 1945 baubewilligt) unterliegen einem Richtpreis, in Wien zum Beispiel unter sieben Euro pro Quadratmeter. Bei Befristungen wird obendrein ein pauschaler Abschlag von 25 Prozent vorgenommen. In Gründerzeitvierteln ist ein Lagezuschlag ausgeschlossen. Sanierungen dürfen kaum aufgeschlagen werden, wodurch sie sich für Eigentümer nicht rechnen. Diese künstlich niedrigen Mieten kommen nicht sozial Bedürftigen zugute, sondern jenen, die das familiäre Glück hatten, einen Altbau-Mietvertrag „vererbt“ zu bekommen.

Warum werden Menschen, die doppelt so viel verdienen wie die durchschnittliche Wienerin, gefördert?

Veit Dengler und Wolfram Proksch

Auf der Angebotsseite führen Richtwerte dazu, dass Wohnraum knapper wird: Altbauten verfallen, weil eine Investition, die nicht rentiert, nicht finanziert wird. Dadurch suchen mehr Menschen Wohnungen, als verfügbar sind; Vermieter können aus einer langen Warteschlange Mieter aussuchen. Das trifft soziale Randgruppen und Arme am härtesten.

Das Mietrecht führt also dazu, dass privat weniger saniert wird, und nützt nicht jenen, die Hilfe brauchen. Der Denkfehler ist, „Wohnungen = Objekte“ zu fördern, statt Menschen. Ein Beispiel sind auch Genossenschaftswohnungen. Wer einmal eine bekommen hat, kann sie de facto beliebig lange behalten. Die Genossenschaften haben keinerlei Interesse, Wohnungen zurückzubekommen; nach 35 Jahren müssten sie bis zu 1000 Euro pro Quadratmeter investieren, ohne danach mehr Miete zu bekommen. Mieter behalten sich solche Wohnungen insbesondere in guten städtischen Lagen, wo sie nie wieder so günstig eine Wohnung bekommen könnten. Allein in Wien handelt es sich um zigtausende Wohnungen.

Kommt es doch zu einer Wiedervergabe, gibt es eine Einkommensgrenze, die zurzeit bei 53.340 Euro netto pro Jahr für eine Einzelperson liegt. Das Wiener Medianeinkommen beträgt 22.500 Euro netto. Warum sollen Menschen, die mehr als doppelt so viel verdienen wie die durchschnittliche Wienerin, in den Genuss von gefördertem Wohnraum kommen?

Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Sozialpolitisch ist der „soziale“ Wohnbau historisch gewachsener und teurer Unsinn. Slogans wie „Grund und Boden dürfen nicht Marktmechanismen unterworfen werden“ (die Grünen) führten über Jahrzehnte dazu, dass im

Dickicht von Regelungen die Anreize so schlecht gesetzt sind, dass zu wenig saniert wird und die Förderung nur zu einem kleineren Teil bei wirklich Bedürftigen ankommt. Sinnvoll wäre eine direkte Unterstützung jener, die Hilfe brauchen – zum Beispiel mittels eines abgestuften Wohngeldes bis zu gewissen Einkommensgrenzen.

Von Veit Dengler und Wolfram Proksch

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Zu den Personen:

Veit Dengler ist Unternehmer und Manager im Medienbereich. Wolfram Proksch ist Jurist mit Expertise in Verfassung und Umweltverträglichkeitsprüfverfahren.