US-Wahl

Nach der Debatte: Wer soll Biden ablösen?

Die Liste der potentiellen Ersatzkandidaten ist lang. Das ist das Problem.

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Panik ist, wenn knapp vier Monate vor der wichtigsten Wahl des Jahres, die dummerweise auch noch die wichtigste Wahl für eine ganze Generation sein könnte, der Kandidat einfach so verschwindet. Genau das passierte vergangene Nacht. Während der 90-minütigen TV-Debatte auf CNN verlor Joe Biden, amtierender US-Präsident und Kandidat der Demokratischen Partei für die Wahl am 5. November, mitten in seinem Statement zur Krankenversicherung den Faden. Er stockte, murmelte, suchte den Gedanken, sagte plötzlich zusammenhanglos „Covid“, entschuldigte sich und beendete eine lange, peinliche Pause mit dem absurden Satz „Wir schlugen endlich Medicare.“

Es war keine unerwartete Fehlleistung, es war der Moment, den die Demokraten seit langem gefürchtet hatten. Biden, 81, hat in den vergangenen Monaten körperlich und mental sichtlich abgebaut, was in seinem Alter und angesichts der enormen Herausforderungen seines Jobs nicht ungewöhnlich ist. Wie soll der Mann, dessen Konzentrationsfähigkeit rapide zu sinken scheint, die heiße Phase des härtesten Wahlkampfs der Welt überstehen? Die logische Antwort wäre: gar nicht. Biden ist offiziell noch nicht als Kandidat ernannt, die Partei könnte noch rasch jemand anderen aufstellen.

Über diese Frage wird schon lange spekuliert. Im Februar dieses Jahres sorgte ein Podcast der „New York Times“ für Aufsehen, in dem der Gastgeber Ezra Klein, ein prominenter, pro-demokratischer Autor, den ketzerischen Satz aussprach: „Die Demokraten haben bessere Alternativen als Joe Biden“. Doch ein Monat später hielt Biden die jährliche „Rede zur Lage der Nation“, und weil er dabei einen überraschend fitten Eindruck machte, verebbte die Diskussion über seinen Zustand wieder.

Jetzt ist sie wieder entbrannt, mit ungleich größerer Wucht, und durchtauchen wird schwierig. Kein Medium, das nicht die Frage stellt, ob Biden abtreten soll. „Just sad“ (Nur noch traurig) titelte die „New York Post“, und viele Zeitungen berichten von hektischen Telefonaten führender Demokraten, die nach einer Lösung suchen.

Das größte Problem ist nicht der späte Zeitpunkt, sondern die ungelöste Frage, wer Biden ersetzen soll. Der große Haken an den laut Ezra Klein „besseren Alternativen“ zu Biden ist nämlich, dass es sich dabei um eine lange Liste handelt. Das ist kein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass sich niemand als logischer Ersatz für Biden aufdrängt. Klein nennt Kamala Harris (Vizepräsidentin), Gretchen Whitmer (Gouverneurin von Michigan), Wes Moore (Gouverneur von Maryland), Jared Polis (Gouverneur von Colorado), Gavin Newsom (Gouverneur von Kalifornien), Alexandria Ocasio-Cortez (Abgeordnete im Repräsentantenhaus) und je länger die Liste wird – er nennt 15 Personen – umso deutlicher wird ihre Beliebigkeit.

Wahr ist: die Demokratische Partei verfügt derzeit über keine Person, auf die jetzt erwartungsvoll alle Blicke gerichtet sind. Der Retter oder die Retterin will nicht auftauchen. Es fällt schwer, dies optimistischer zu formulieren, aber vielleicht so: Wer immer sich für fähig hält, hat jetzt die beste Chance und die größte Aufmerksamkeit, um den spektakulärsten Auftritt als deus ex machina hinzulegen, den die amerikanische Politik je gesehen hat.

Die Convention, der Nominierungsparteitag der Demokratischen Partei, beginnt am 19. August in Chicago.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur