Verdrängen und vertagen: Der bequeme Klima-Schwindel
Der Rekord hielt nur einen Tag. Am Sonntag, dem 21. Juli, vermeldete der EU-Dienst Copernicus die höchste jemals gemessene globale Oberflächentemperatur: 17,09 Grad. Am Montag, dem 22. Juli, wurde der Höchstwert schon übertroffen: 17,15 Grad, der wärmste bisher gemessene Tag, traditionelle Kältepole wie die Antarktis inklusive. Monatsrekorde purzeln ohnehin im Dauertakt: Seit Juni 2023 vermeldet jeder Monat neue Temperaturhöchstwerte. 2024 steuert auf den Titel „heißestes Jahr“ zu: Hitzewellen brüten von Südeuropa bis in die USA. 45,5 Grad in Portugal, 48 in Marokko. In Indien liegen Boote in ausgetrockneten Flüssen. In Bulgarien herrscht Notstand wegen tobender Waldbrände. In China jagt eine Hitzewarnung die nächste. Das Urlaubsplanschbecken Österreichs, das Mittelmeer, misst tropische 30 Grad und strotzt vor Algenschleim und Qualleninvasionen.
Unter seriösen Wissenschaftern, denen schrille Zuspitzung fremd ist, weil sie gewohnt sind, nüchtern Fakten zu analysieren, breitet sich so etwas wie Panik aus: Die Erde erhitzt sich rascher als prognostiziert – vergleichbar mit dem Tempo von 13 Hiroshima-Atombomben pro Sekunde, wie Marc Olefs von der GeoSphere Austria drastisch formuliert. Der Klimawandel passiert dramatischer als befürchtet.
Politik und Bevölkerung agieren eher wie hartgesottene Kettenraucher, denen Ärzte angesichts hoher Blutdruckwerte dringendst raten, die Zigaretten sein zu lassen und den Schweinsbraten öfter vom Menüplan zu streichen.
Warnbeispiele sind täglich in Österreich zu besichtigen: extreme Unwetter in Kärnten und der Steiermark. Murenabgänge. Zivilschutzalarm. Der Gipfel des Hohen Sonnblicks: schneefrei. Tropennächte. Faustgroße Hagelkörner, Sturzregenfluten. Überschwemmungen. Millionenschäden in der Landwirtschaft.
Die Reaktionen auf die Serienschreckensmeldungen fallen seltsam achselzuckend und abgestumpft aus, manchmal auch genervt. Der Aufregungsfaktor sinkt, der Handlungsdruck auch. Politik und Bevölkerung agieren eher wie hartgesottene Kettenraucher, denen Ärzte angesichts hoher Blutdruckwerte dringendst raten, die Zigaretten sein zu lassen und den Schweinsbraten öfter vom Menüplan zu streichen. Unangenehme Botschaft, will niemand hören – schon gar nicht befolgen. Einfach ignorieren ist viel bequemer als sein Verhalten zu ändern. Derartige Realitätsverleugnung nützt selten, nicht gegen Raucherhusten, auch nicht gegen die Klimakrise.
Dennoch haben andere Themen im anlaufenden Wahlkampf Konjunktur. Der Vergleich mit dem Wahlkampf 2019 macht sicher: Damals demonstrierte Fridays For Future – und alle Parteien (mit Ausnahme der FPÖ) reagierten prompt und riefen mit großer Geste im Parlament den „Klimanotstand“ aus. Fünf Jahre später ist der Notstand nicht kleiner – aber die Klimakrise auf der politischen Agenda nach unten gerutscht.
Schreihals Donald Trump reißt Bruhaha-Witze, dass er keine Windräder bei seinem Golfclub will. Für Populisten wie ihn ist die Klimakrise genau wie Corona eine Erfindung sinistrer Weltverschwörer. Während seiner ersten Amtszeit wurden 125 Umweltmaßnahmen flugs abgeschafft, bei Wiederwahl will Trump den Klimaschutzkurs Green Deal von Joe Biden abdrehen. Das löst natürlich kein Problem, aber darum geht es Populisten ohnehin selten.
Der FPÖ schon gar nicht, die seit Jahren gegen Klimaschutz wettert. Und dazu beiträgt, dass der Klimawandel zur plumpen Ideologiefrage verkommen ist, bei der auch die Koalitionspartner ÖVP und Grüne gegeneinander sticheln. Leider.
Dabei hätte Österreich ernsthaft Diskussionsbedarf. Etwa: An immer mehr Tagen gelingt es, 100 Prozent des Strombedarfs mit Erneuerbaren, Wind, Wasser, Sonne, zu decken. Die Bereitschaft zum Umstieg ist groß, Bevölkerung und Unternehmen sind teils weiter als die Politik. Dennoch steckt die Photovoltaik-Branche in der Krise. Wie sinnvoll gegensteuern?
Noch kniffliger: Wie die sozialen Fragen beantworten? Im gekühlten Büro sind Hitzewellen ungleich leichter zu überstehen als auf heißen Baustellen. Im Einfamilienhaus im Grünen belasten hohe Temperaturen weniger als in engen Betonwüsten-Wohnanlagen ohne Balkon. Hitze belastet Gesundheit und fördert Aggressionen, das erfordert kluge Konzepte.
Oder: Manches funktioniert gut, etwa der öffentliche Verkehr und das Bahnnetz – wie jeder Blick nach Deutschland zeigt. Bei mutig-visionären Konzepten für Städte herrscht aber Aufholbedarf. Wo bleiben autofreie Sonntage wie in Brüssel oder Fahrrad-Highway-Netze wie in Paris? Und: Quer durch Österreich wird hartnäckig täglich in Fußballfeldgröße zubetoniert, klimaschädliche Subventionen sind keineswegs abgeschafft, die To-do-Liste ist lang.
Keine Frage: Bund, Länder, Gemeinden strengen sich teilweise an, insgesamt aber passiert beim Klimaschutz zu wenig. Nein, die ewige Ausrede, dass Großmächte wie China noch zögerlicher agieren, hilft niemandem weiter – außerdem stehen dort mittlerweile riesige Wind- und Solarparks.
Die Zeit drängt. Sich um die Klimakrise hinwegzuschwindeln und in Ideologiedebatten zu verzetteln, mag bequem für Politik und Wahlvolk erscheinen. Rächt sich aber bitter. Der nächste Hitzerekord kommt bestimmt.