Eva Linsinger
Eva Linsinger

Ende der türkisen Siegesserie

In OÖ triumphieren radikale Impfgegner, in Graz feiern die Kommunisten Höhenflüge. Die ÖVP bekommt neue Konkurrenz von rechts und retrolinks. Damit wird es nach dem Wahlsonntag in der Koalition in Wien ungemütlich. In der SPÖ sowieso.

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Nur nicht auffallen, nur keine Aktivitäten setzen, so wenig wie möglich Politik machen: Nach diesem Prinzip war die türkis-grüne Bundesregierung in den vergangenen Wochen abgetaucht und hatte alle Entscheidungen auf die Zeit nach den Wahlen vertagt. Neue Corona-Maßnahmen, CO-2-Steuer, ökosoziale Steuerreform – all diese heiklen Themen stehen erst jetzt auf der Koalitions-Tagesordnung.

Leichter wird es nach dem Wahlsonntag nicht, im Gegenteil: Seit Sebastian Kurz ÖVP-Obmann und Bundeskanzler ist, verfolgen die Türkisen die Strategie, rechts von sich so wenig Platz wie möglich zu lassen, so der FPÖ Stimmen abzuknöpfen und damit der ÖVP Rang 1 zu sichern.

Diese Law-and-Border-Positionierung war seit dem Jahr 2017 bei zwei Nationalratswahlen und acht Landtagswahlen erfolgreich, hunderttausende Stimmen flossen von der FPÖ direkt zur ÖVP – mit Oberösterreich und Graz ist die Strategie aber an ihr vorläufiges Ende gekommen: Der türkise Serien-Siegeszug ist Geschichte. In Graz muss die ÖVP wohl den Bürgermeistersessel an die KPÖ abgeben, einzigartig in der immerhin zweitgrößten Stadt eines Landes der westlichen Welt. Und in Oberösterreich fielen die Zugewinne für die ÖVP bescheidener als erhofft aus, diesmal wanderten blaue Stimmen zum Politneuling MFG, einer seltsamen Mischkulanz aus radikalen Anti-Corona-Hardlinern und Impfgegnern. Mit deren Durchmarsch bekommt die ÖVP neue Konkurrenz von rechts – und in Graz von links. Eine klare Corona-Politik, nach der sich viele nach dem Chaos der vergangenen Wochen sehnen, wird damit noch kniffeliger.

Noch entscheidender aber: Schon bisher war Klimapolitik beileibe kein Herzensanliegen der Türkisen, Stichwort der berühmte „Steinzeit“-Sager von Kanzler Kurz. Jetzt, da rechts von der ÖVP mehr Parteien Platz haben als ihr lieb ist und Überraschungserfolge von Retrolinks drohen, werden sich die Türkisen noch schwerer tun, den Grünen Klimapolitik-Wünsche zu erfüllen. Dazu kommt: Das Ergebnis der Grünen ist alles andere als berauschend, starker Rückenwind schaut anders aus.

Dennoch müssen die Grünen bei Öko-Steuerreform und CO-2-Bepreisung liefern: Hat doch ihre Klientel manchmal mit lautem Murren, manchmal unter öffentlichen Schmerzen, immer aber nur unter einer Bedingung die türkise Hardliner-Migrationspolitik mitgetragen: Dass beim Klima-Thema ein großer Wurf kommt. Mit einem halbherzigen Wurferl können sich die Grünen nicht zufrieden geben.

Ein Kompromiss war schon bisher schwer, nach diesem Wahlsonntag, der das politische Gleichgewicht in Österreich ordentlich durcheinanderwirbelte, wird er noch komplizierter. Damit wird es in der türkis-grünen Bundesregierung ungemütlich.

Noch ungemütlicher wird es nur in einer Partei: In der SPÖ. In der Universitätsstadt Graz verharrt sie in der völligen Bedeutungslosigkeit, im Industrieland Oberösterreich kann sie ihr historisches Debakel aus dem Jahr 2015 nicht ausmerzen. Damit ist eine Konsequenz fix: Die nächste Obfraudebatte um SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin