Leitartikel

Wir sind und bleiben Taylor Swift!

Der IS ist wieder aktiv. Unsere Gesellschaft hält dagegen – und tappt dabei hoffentlich nicht in die Rassismusfalle.

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Zuallererst müssen die Emotionen ihren Platz bekommen: Traurigkeit, Zorn, Weltschmerz! Niemand bleibt von der Euphorie, die Taylor Swift auslöst, gänzlich unberührt. Sie erzeugt ein Lebensgefühl, das weit über die Musik hinausreicht. Swiftie zu sein, bedeutet, Teil einer kollektiven Erfahrung, eines Lifestyles und einer globalen Gruppendynamik zu sein. Swift vermittelt auf für Außenstehende unerklärliche Weise Nahbarkeit, und sie macht durch ein subtiles Geflecht an Botschaften Hunderte Millionen Fans zu einem „Teil eines größeren Organismus“, wie profil-Redakteurin Eva Sager dies in ihrer Cover-Story vor drei Wochen formulierte. Einen Auftritt des Megastars zu erleben, ist nicht bloß ein musikalisches Erlebnis, sondern ein pop-spiritueller Akt der Zugehörigkeit. Eine positive, glitzernde, sinnstiftende Mania.

Dieser Sensation wurden rund 180.000 Menschen in Wien beraubt. Alle drei Konzerte mussten abgesagt werden, nachdem Mittwochabend bekannt geworden war, dass Islamisten ein Attentat auf die Veranstaltung geplant hatten – alle Details dazu finden Sie in dieser Story. Einen solchen Terroranschlag ins Auge zu fassen, zeugt von abscheulicher Gesinnung. Sie basiert auf der Ideologie eines extremen Islamismus, der die westliche Lebensweise als sündig und antiislamisch ansieht und diese deshalb auslöschen will. Es ist die Ideologie der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), die seit nunmehr einem Vierteljahrhundert versucht, mit den Mitteln des Dschihadismus, des Völkermordes, des Terrors, der Kriegsverbrechen und der Errichtung eines islamistisch-totalitären Kalifats ihre irrwitzigen Ziele zu erreichen.

Wie jeder (vereitelte) Terroranschlag bekommt auch dieser eine politische Bedeutung.

Eine bunte, diverse, liberale, freizügige Community von Swifties ist eine plakative Antithese zum freiheitsfeindlichen Weltbild des IS. Man braucht jedoch kein Prophet zu sein, um zu wissen, dass der IS den Swifties zwar drei Konzerte vermiesen kann, nicht aber ihren Spirit. Oder besser: Ich würde keinem Propheten folgen, der das nicht weiß.

Wie jeder (vereitelte) Terroranschlag bekommt auch dieser unweigerlich eine politische Bedeutung. FPÖ-Chef Herbert Kickl schreibt auf der Plattform Instagram: „Während weltweit problemlos Konzerte stattfinden können, ist es in Österreich offenbar nicht mehr möglich, dass musikbegeisterte Menschen ihre Idole live im Stadion erleben können.“ Kickl macht dafür die Migrationspolitik verantwortlich. Beran A., einer der mutmaßlichen Täter, ist der in Österreich geborene Sohn aus Nordmazedonien eingewanderter Eltern.

Solche Interpretationen sind wenig hilfreich. Tatsächlich ist das geplante Verbrechen von Wien keine österreichische Besonderheit. Der Terrorismus-Experte Peter R. Neumann zählt seit Oktober 2023 in Westeuropa „sechs Anschläge und insgesamt 21 Fälle von dschihadistisch motivierten Anschlagsplanungen“. Der IS hat seit dem Hamas-Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 seine Aktivitäten im Westen wieder intensiviert.

Was kann Österreich tun? Kickl verspricht ein „Zurück zur Normalität“ – gemeint ist wohl eine Situation vor der Einwanderungswelle von 2015 –, ohne allerdings zu erklären, wie er dorthin gelangen möchte.

Rechtsextreme Aktivisten fordern Massenabschiebungen, die sie „Remigration“ nennen und die in Österreich, wenn alle Migranten als potenzielle Terroristen betrachtet würden, rund 2,5 Millionen Menschen beträfen. Ein Vorschlag, der nur in der Parallelwelt blindwütiger Rassisten Sinn ergibt. Zumal etwa Nordmazedonien über kurz oder lang ohnehin EU-Mitglied sein wird, aber das nur nebenbei.

Anders als bei der Trauer über abgesagte Konzerte haben Emotionen bei der Terrorbekämpfung keinen Platz. Was sagt die Vernunft? Peter R. Neumann weist auf ein beunruhigendes Phänomen hin: In 15 der 27 genannten Terrorfälle sind die Täter Teenager, die sich im Internet radikalisiert haben. Er nennt sie plakativ „TikTok-Dschihadisten“. Geboren im Westen, sind manche nicht einmal strafmündig und die meisten noch nie in einer Polizeiakte aufgetaucht. Für die Sicherheitsbehörden sind Dschihadisten, die aus dem Jugendzimmer agieren, extrem schwer zu finden. Im konkreten Fall war es die gute Kooperation mit US-Geheimdiensten, dank derer die heimischen Ermittler auf die Spur gebracht wurden. Nur große westliche Dienste sind in der Lage, weltweit die Kommunikationskanäle des IS zu infiltrieren und auszuforschen, wer dort auftaucht – etwa ein Jugendlicher aus Ternitz. Das ist keine Schande für die österreichischen Behörden, sondern eine notwendige Aufgabenteilung.

Hierzulande gibt es dennoch neben polizeilicher Ermittlungsarbeit eine Maßnahme, die man intensivieren kann. Nachbarn haben angegeben, dass sie bei Beran A. eine deutliche Veränderung seines Äußeren bemerkten, er islamisierte sich. Das hätten sie bei der „Beratungsstelle Extremismus“ melden sollen, doch diese ist offenbar noch zu wenig bekannt. Familie, Freunde, Nachbarn oder Lehrer können beim Aufspüren von Jugendlichen, die dem Extremismus verfallen, die größte Hilfe der Behörden sein.

Eine freie Gesellschaft braucht starke Sicherheitsbehörden und den Zusammenhalt gegen ihre inneren Feinde. Und sie darf sich nicht von Aufwieglern aus der Ruhe bringen lassen.

Wir sind Taylor Swift, und das bleiben wir auch.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur