Wo bleiben die Feministinnen?
Immer, wenn Gräueltaten an Frauen publik werden, ertönt der Ruf nach den Feministinnen. Wo bleiben die Feministinnen? Wieso schreien die Feministinnen nicht auf? Als wären die Gräueltaten auf ein Versagen der Feministinnen - von denen plötzlich gesprochen wird wie von einer entscheidenden politischen Kraft - zurückzuführen.
Indes: Die Feministinnen gibt es nicht. Die Feministinnen sind kein eingetragener Verein, keine paramilitärische Organisation, keine Kampftruppe, kein Sondereinsatzkommando.
Feministinnen sind Frauen, die sich weltweit unter verschiedenen Bedingungen und mit unterschiedlichen Methoden gegen Unterdrückung, Verfolgung, Diskriminierung und die politische Ohnmacht von Frauen einsetzen. Manche sind in Vereinen organisiert, aber nach den Feministinnen zu rufen wie nach einem Fallschirmjägerinnen-Regiment, das über Krisengebieten abspringen und Ordnung schaffen soll, ist absurd. Hätten sie die Macht, die ihnen da auf einmal zugeschrieben wird, dann wäre ihr Einsatz nicht notwendig.
Dieser Hinweis prallt freilich an der modischen Selberschuld-Überzeugung öffentlicher Kreise ab: Wenn die Feministinnen es nicht schaffen, Macht zu erringen, sind sie halt selber schuld. Man kennt das: Benachteiligende Rahmenbedingungen sollen gefälligst von den Benachteiligten selbst beseitigt werden-eine beliebte, aber schwer erfüllbare Forderung, weil die Rahmenbedingungen für gewöhnlich vorsehen, dass die Benachteiligten sie nicht ändern dürfen.
Wo bleiben die Feministinnen? Als wären die ansonsten als verzichtbar eingestuften Weiber, die sich Feministinnen nennen, verantwortlich für die Gräueltaten an Frauen, weil sie nicht rechtzeitig ihre Stimme erhoben haben.
Frauen erheben jedoch ihre Stimmen, andauernd und weltweit. Sie werden nur nicht gehört. Oder, wenn doch, geschmäht, niedergebrüllt, zum Schweigen gebracht.
Was waren die ersten Reaktionen, als bekannt wurde, wie unvorstellbar brutal die Hamas am 7. Oktober gegen die von ihr überfallenen Frauen vorgegangen ist? Sie klangen in etwa so: Wer weiß, ob das alles wahr ist? Leider das Übliche, in jedem Krieg werden Frauen von den Siegern vergewaltigt, das weiß man doch. Und das Schicksal der Palästinenser:innen ist euch egal? Erst danach, als immer schrecklichere Details publik wurden, sickerte die Erkenntnis durch, dass die Frauenverachtung, mit der die Hamas-Terroristen gewütet hatten, speziell abscheulich gewesen war. Und da hieß es dann auf einmal: Warum sagen die Feministinnen nichts? Wo bleiben sie?
Ja, wo bleiben sie? Unter Schleiern, hinter Gittern, eingesperrt im eigenen Heim, bedroht und misshandelt in der Öffentlichkeit und zu Hause. So schaut's aus.
Wenn die Feministinnen es nicht schaffen, Macht zu erringen, sind sie halt selber schuld.
Feministinnen protestieren weltweit, unentwegt, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Den Frauen im Iran kommt es wohl vordringlich darauf an, nicht getötet zu werden, wenn sie ein Kopftuch nicht nach Vorschrift oder am Ende gar nicht tragen. Die Frauen hierzulande stoßen sich häufig an der Einkommensschere. Dann sagt man zu ihnen: Ehrlich jetzt? Im Iran riskieren sie ihr Leben, und euch geht es bloß um mehr Zaster?
Aber wenn die Frauen hierzulande das Kopftuch nicht so super finden, ist das auch schon wieder falsch, denn bei uns ist das Kopftuch okay. Der Bundespräsident ging sogar so weit, vorzuschlagen, dass alle Frauen bei uns Kopftuch tragen sollten, aus Solidarität. Aus Solidarität mit den Frauen im Iran? Nein, äh, das wohl nicht.
Es ist schwer für Feministinnen, zwischen all den Whataboutismen durchzutauchen, ohne ins Kreuzfeuer der Kritik zu geraten. Noch dazu, wo es nicht bei allem, was mittlerweile als feministisch etikettiert wird, am Ende um die Interessen von Frauen geht.
Der heimische Noch-Bundeskanzler hat kürzlich seine Zukunftspläne für Österreich verkündet. Dazu gehören die Einführung einer Großeltern-Karenz und ein automatisches Steuersplitting für Ehegatten. Letzteres ist bekanntlich das ideale Steuermodell für Vielverdiener mit einer nicht oder kaum berufstätigen Partnerin, weil das geringe Einkommen der Partnerin bei gemeinsamer Veranlagung den Steuersatz gewaltig senkt. (Ja, kann auch von Vielverdienerin mit Hausmann beansprucht werden, das ist in der Realität aber eher selten).Ersteres, nämlich die Großeltern-Karenz, will Großmütter (denn nur die hatte ÖVP-Urgestein Andreas Khol im Fokus, als er sich begeistert dazu äußerte) zu einer zweiten Berufsunterbrechung nach dem Aufziehen der Kinder motivieren, diesmal zum Zweck der Enkelbetreuung. Was das mit der Pension der Großmütter machen würde, kann man sich leicht ausrechnen. Eine Herdprämie à la FPÖ also, diesfalls nicht nur für Mütter, sondern auch für Großmütter, wenn sie sich der Aufzucht von (völkischem) Nachwuchs widmen.
Ob sich das, Gott behüte, durchsetzt, wird man sehen. Aber eins lässt sich schon festhalten: Wenn Männer (und Frauen) politische Parteien wählen, die Frauen (und Männer) zurück in die 1950er-Jahre-oder, noch schlimmer, in die 1930er-Jahre-katapultieren möchten, dann werden nicht die Feministinnen schuld sein, falls wir uns auf einmal in den 1930er-Jahren wiederfinden.