Kommentar

Wo bleibt der versprochene Frieden?

Ukraine und Russland führen indirekte Verhandlungen. Überraschung: Einer von beiden blockiert.

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Frage: Welches ist das Emoji für „niederschmetternde Inkompetenz“? Antwort: Die Abfolge „Faust“, „US-Flagge“ und „Feuer“. Zu verdanken haben wir die nützliche Dreier-Kombi dem Nationalen Sicherheitsberater der USA, Michael Waltz. Er postete sie in der Chat-Gruppe auf der Plattform Signal, in der neben ihm auch US-Vizepräsident J. D. Vance, Verteidigungsminister Pete Hegseth, Außenminister Marco Rubio und einige weitere hochrangige Mitglieder der US-Administration Pläne über einen unmittelbar bevorstehenden Angriff auf Stellungen der jemenitischen Houthi-Miliz austauschten. Ach ja, auch Jeff Goldberg, ein Journalist des US-Magazins „The Atlantic“, war von Waltz versehentlich dem Chat hinzugefügt worden und konnte bei der detaillierten Kriegsplanung mitlesen. Ein Super-GAU in Sachen Geheimhaltung.

Die Reaktion von Donald Trump abwärts: Die Infos im Chat seien „nicht geheim“ (eine absurde Behauptung), die Plattform Signal könnte „defekt“ gewesen sein (ein Vorwurf ohne jeden Beleg), und der Journalist Goldberg sei „Abschaum“ und ein „Verlierer“. Was soll man dazu sagen? Faust, Flagge, Feuer.

Angesichts solch gruselerregender Amateurhaftigkeit, kombiniert mit obsessiver Neigung zur Lüge, fällt es nicht leicht, weltpolitische Initiativen der US-Regierung nüchtern zu beurteilen. Eine ihrer derzeit wichtigsten sind die Friedensgespräche im Krieg Russlands gegen die Ukraine.

Es wäre billig, US-Präsident Donald Trump für sein großkotziges Versprechen zu verspotten, er werde den Krieg in der Ukraine „innerhalb von 24 Stunden nach Amtsantritt beenden“. Klar war das unmöglich. Zudem bleibt die Sorge berechtigt, dass der Mann im Weißen Haus alles über Bord werfen könnte, was die westliche Allianz ausmacht – die Unterstützung der Ukraine, den Zusammenhalt der NATO, die Ächtung des russischen Angriffskrieges und dessen Urhebers Wladimir Putin –, nur um sich eines auf Kosten der Ukraine erzwungenen Diktatfriedens rühmen zu können. Aber so weit ist es nicht, jedenfalls noch nicht. Man kann US-Präsident Donald Trump immerhin zugestehen, dass sein ungestümes Vorpreschen eine Situation geschaffen hat, in der ein Ende des Krieges ein kleines bisschen näher scheint als in den drei Jahren zuvor. Heißt das, die westliche Strategie war die längste Zeit falsch? Absolut nicht. Ohne westliche Unterstützung der Ukraine während der drei bisherigen Kriegsjahre bräuchte es jetzt keine Friedensverhandlungen, denn die Ukraine würde längst nicht mehr existieren. Dass die Übermacht Russland heute nicht mehr als 20 Prozent des ukrainischen Territoriums (einschließlich der Krim) kontrolliert und in Kyiv noch immer eine souveräne Regierung im Amt ist, verdankt das Land den USA unter Joe Biden, der NATO und der EU.

Bisher agiert US-Präsident Trump gegenüber Putin erschreckend gutgläubig.

Wie vielversprechend sind nun die Friedensgespräche? Bisher nicht allzu sehr. Wann immer die USA eine vermeintliche Einigung über eine 30-tägige Feuerpause forcieren – erst umfassend, dann nur in Bezug auf Energie-Infrastruktur, zuletzt auf das Schwarze Meer begrenzt –, schiebt Putin listig weitreichende Bedingungen nach, die den Plan scheitern lassen.

Donald Trump zeigt sich auffallend nachsichtig und befindet, Moskau würde zwar ein Kriegsende anstreben, dabei aber „trödeln“. Die eben noch ganz besonders lauten Verfechter einer raschen Friedenslösung mit Putin, die seit Langem behaupten, die militärische Unterstützung der Ukraine sei das wahre Friedenshindernis, sind derzeit auffallend leise. Man kann Putins Verzögerungsstrategie bei den Verhandlungen „trödeln“ nennen, man kann es aber auch deutlicher sagen: Er blockiert und setzt seinen Angriffskrieg uneingeschränkt fort. Wen das überrascht, der hat seit dem 24. Februar 2022 offenbar eine Überdosis FPÖ TV und Reden von Sahra Wagenknecht konsumiert.

Trump glaubt, er könne nicht nur Wolodymyr Selenskyj, sondern auch Wladimir Putin zu einem Friedensschluss zwingen. Bisher allerdings agiert der US-Präsident gegenüber Putin erschreckend gutgläubig. Natürlich wäre ein fairer Frieden, auch wenn er unter Anleitung der Faust-Flagge-Feuer-Truppe zustande käme, ein Segen. Aber auch ein Wunder.

Robert Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur