Kolumne

Teilhabe durch Teilnahme

Es gibt nichts umsonst. Das zu ignorieren, kostet extra.

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Die Geschichte, liebe Leserinnen und Leser dieser Kolumne, ist ein Luder. Sie zeigt uns einerseits ziemlich klar, was schiefgeht, wenn wir uns zu viele Illusionen machen. Gleichzeitig wiegt sie uns, weil ja Geschichte immer schon vergangen ist, in der irrigen Annahme, dass uns deshalb nicht wieder passieren kann, was schon mal geschah, weil wir ja – und jetzt aufgepasst – klüger geworden wären.

Diese Formel, einfach so vor sich dahingesagt, führt dazu, dass niemand mehr darüber nachdenkt, ob das auch stimmt. Sind wir durch Schaden klüger geworden oder sollten wir uns nach wie vor hüten, „aus Schaden dumm zu werden“, wie Karl Kraus mahnte. Die Geschichte hat, wenn das nicht geschehen soll, eine eingebaute Wiedervorlageautomatik. Das fällt nicht jedem Karli auf, dem Marx aber schon, der meinte, dass sich Geschichte zwei Mal ereigne: ein Mal „als Tragödie, dann als Farce“.

Jetzt muss man natürlich die Farce schon deshalb ernst nehmen, weil die Leute, die sie veranstalten, weder aus Schaden noch sonst wie klüger werden könnten. Dazu fehlen schlicht die entsprechenden biologischen Rahmenbedingungen. Man soll das Hoffen nicht aufgeben, aber allein verlassen darauf würde ich mich jetzt nicht.

Warum?

Die Geschichte zeigt uns, dass das wichtigste und erfolgreichste Geschäftsmodell aller Zeiten die Blödheit ist, und das heißt hier immer Ungebildetheit, das Nichtwissenwollen. Auf dieser Grundlage kann man Menschen Sachen versprechen, die sie gerne hätten: mehr Geld ohne mehr Anstrengung zum Beispiel. Das ist sehr beliebt. Wie vieles andere auch wurde dieses Modell nicht im Alten Rom erfunden, aber perfektioniert. Damit der römische Bürger und die römische Bürgerin ein lustiges Leben führen konnten, gab es Brot und Spiele, mit anständigem Belag und ordentlichem Trara. Jeder Kevin, jede Kim weiß heute, dass das teuer ist. Finanziert wurde es auf Kosten anderer Leute. Die sehr professionelle römische Armee marschierte in ein Land nach dem anderen ein, und vorn lief ein Legionär mit einer Standarte, auf der geschrieben stand: SPQR – Senatus Populusque Romanus, also Senat und Volk von Rom.

Wer Brot und Spiele will, muss selber was für sie tun.

Damit waren die Auftraggeber der Angriffskriege ebenso benannt wie die Empfänger der Beute. Das war alles sehr korrekt, dienstlich einwandfrei, niemand konnte behaupten, getäuscht zu werden. Man wurde ermordet und ausgeraubt, aber nicht angelogen. Das waren noch Zeiten. Heute geht es meistens zu wie beim alten George Orwell in „1984“, wo einfach immer das Gegenteil von dem richtig ist, was das Regime sagt, was etwa bei Putin oder den Mullahs und ihren Spießgesellen ein sehr zuverlässiger Indikator für die Realität ist.

Das ganze Elend der Wiederholung wird es so lange geben, solange die Leute andere dafür verantwortlich machen, was sie nicht lernen wollen. Wer Brot und Spiele will, muss selber was für sie tun. Die alte römische Lüge, dass es eine Teilhabe ohne Teilnahme, ohne Einsatz, Arbeit, Engagement, Anstrengung, Leistung geben könnte, hat sich bei uns epidemisch verbreitet. Die Lüge ist längst entlarvt, aber die Farce ist, dass die einst großen Parteien und Interessengruppen, die das über Jahrzehnte angeheizt haben, sehen, wie gut ihr Schmierenkomödienmittel jetzt die Manipulationswerkeln der Populisten schmiert. Doch die meiste Schuld tragen die, die sich immer für Opfer halten – der Umstände und der nicht haltbaren Versprechungen. Habt ihr selber nie nachgedacht?

Immanuel Kants von vielen so lange so leichtfertig dahingesagter Satz, dass Aufklärung nichts anderes sei als „der Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit“, ist heute von einer so tragischen Wucht, dass es nur so scheppert.

Aber selbst das hören die nicht, denen man das Hören und Sehen so abgewöhnt hat, dass sie wie die kleinen Kinder nach einem Papa rufen. Die Tragödie ist vorbei, aber die Farce, die wird sich hinziehen. Viel Glück allen, die genug Verstand haben, ihr aus dem Weg zu gehen. Wie heißt es so schön: Nichts ist umsonst, außer der Tod. Aber der kostet das Leben.

Wolf  Lotter

Wolf Lotter

ist Autor und Journalist und schreibt einmal monatlich eine Kolumne für profil, wo er von 1993 bis 1998 Redakteur war.