Zinsen: Handlungsbedarf? Ja, aber anders.
Von Gabriel Felbermayr.
Banken erhalten für ihre Überschussreserven bei der EZB nun wieder Zinsen. Sie geben diese nur zögerlich an die Sparer weiter, weil sie im Abschwung wenig Bedarf an neuen Einlagen haben. Aber Kreditnehmer, die Geld mit variablen Zinsen aufgenommen haben, müssen nun mehr bezahlen. Der Erwerb eines Eigenheims, die Finanzierung eines Autos oder die Kontoüberziehung sind deutlich teurer geworden. So soll die Nachfrage zurückgehen und die historisch hohe Inflation sinken. Wie in anderen Zinserhöhungsphasen steigen nun, nach langer Durststrecke, die Gewinne der Finanzbranche deutlich an.
Weisen diese Entwicklungen auf Marktversagen im Finanzmarkt hin? Liegt ein verteilungspolitisches Problem vor? Muss die öffentliche Hand tätig werden?
Zunächst zur Verteilungsfrage. Hohe Inflation hilft den Schuldnern, schädigt aber die Gläubiger. Egal ob flexibel oder fix verzinst, die Höhe aufgenommener Kredite bleibt im Zeitablauf konstant, während die nominalen Geldeinkommen der Menschen mit der Inflation dank Erhöhungen von Löhnen, Pensionen und Sozialleistungen steigen. Das erleichtert die Bedienung der Kredite. Die Inflation entwertet aber die Sparguthaben.
Die meisten variablen Baudarlehen werden von wohlhabenden Haushalten aufgenommen. Diese können mit höheren Kreditraten, zähneknirschend, leben. Außerdem liegt es im Interesse der Banken, Kreditausfälle und somit Abschreibungen in ihren Bilanzen zu vermeiden. Daher werden sie in Notfällen mit Stundungen oder Kreditverlängerungen helfen. Die Kreditausfälle sind in Österreich jedenfalls immer noch auf historisch niedrigem Niveau. Der Staat sollte sich also mit Rettungsaktionen zurückhalten, zumal diese langfristig schädlich sind. Wenn Banken und ihre Kunden erwarten, dass die öffentliche Hand ex post ihre Risiken übernimmt, dann werden ex ante mehr Risiken eingegangen, was der Systemstabilität sicher nicht nützt.
Anders ist es bei Schulden armer Haushalte, die laufend ihre Konten überziehen und keinen Immobilienbesitz als Sicherheit haben. In diesem Segment, nicht bei den Häuselbauern, ist die Sozialpolitik gefordert.
Der österreichische Bankenmarkt ist hoch kompetitiv; fehlender Wettbewerb ist kein Problem. Die Margen der Banken sind über den Zinszyklus hinweg traditionell gering; aktuell sind sie allerdings sehr gut. Doch ist das ein Grund, die Gewinne mit einer Sondersteuer abzuschöpfen? Nein. Erstens unterminieren anlassbezogene „Übergewinnsteuern“ das Vertrauen in die Verlässlichkeit des Steuersystems, was den Standort schädigt. Und zweitens schwächen sie das Eigenkapital der Banken. In der nächsten Finanzkrise kann der Staat den Banken, die er jetzt schröpft, erst recht keine Hilfe verweigern.
Ist die Tatsache, dass hohe Anteile der Immobilienkredite flexibel verzinst vergeben wurden, ein Zeichen für Marktversagen? Eher für Staatsversagen. Eigentlich sollten Banken an fixverzinsten Produkten mehr verdienen, weil sie neben dem reinen Kredit auch eine Versicherung gegen Zinsänderungsrisiken verkaufen. Aber anders als in Deutschland können hierzulande Kreditnehmer sehr leicht aus fixverzinsten Verträgen in flexible wechseln. Das erhöht die Kosten von fixverzinsten Produkten, weil die Versicherung nur beansprucht wird, wenn die Bank draufzahlt, sonst nicht. Hier sollte die Regulierung nachziehen, damit fixverzinste Darlehen attraktiver werden.
Seit Sommer letzten Jahres legt die Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-VO) der Kreditvergabe strenge Auflagen auf, um Systemrisiken zu begrenzen. In Zeiten hoher Zinsen wirkt die Verordnung zu restriktiv. Aktuell sinkt bereits der Bestand an ausgereichten Wohndarlehen, in Österreich stärker als anderswo. Die Verordnung sollte daher angepasst werden, sodass die Auflagen mit dem Zinszyklus „atmen“ und dauerhaft gelten. Gemäß KIM-VO müssen den Schuldnern nach Schuldendienst mindestens 60 Prozent ihres verfügbaren Einkommens bleiben. Bei festverzinsten Verträgen sollte dieser Prozentsatz durch einen Eurobetrag ersetzt werden, der sich nach den Richtwerten zur Berechnung der Ausgleichszulage richten könnte.
Es gibt also durchaus Handlungsbedarf für die öffentliche Hand, aber nicht so, wie manche populistische Stimmen dies aktuell fordern.
Über den Gastkommentator:
Gabriel Felbermayr ist Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) und Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien).