Franz Schellhorn: Das Ende des Neoliberalismus
Glaubt man prominenten Linken, dann hat diese Corona-Epidemie auch ihr Gutes. Sie tötet nicht nur Millionen von Menschen, sondern auch den verhassten Klassenfeind: den Neoliberalismus. Dieser sei nun ein für alle Mal erledigt, wie zahlreichen Kommentaren seit Wochen zu entnehmen ist. Alle Welt sehe nun, dass freie Märkte nicht funktionierten und dass uns eine Kombination aus Privatisierung, Deregulierung und Steuersenkung an den Abgrund geführt habe. Jetzt seien wir alle auf den großen Staat mit seinen breiten Schultern angewiesen, nur er könne uns noch retten.
Was auffällt, ist, dass der Neoliberalismus eine reine Projektionsfläche ist, ein politischer Kampfbegriff. Von jenen eingesetzt, die es nie überwinden konnten, dass liberale Marktwirtschaften den Menschen das brachten, woran die Sozialisten in unzähligen Versuchen immer wieder scheiterten: breiten Bevölkerungsschichten ein Leben in Freiheit und Wohlstand. Alle Länder, in denen das gelungen ist, hatten eines gemein: Sie legten viel Wert auf Rechtsstaatlichkeit, Vertragsfreiheit, Bildung für alle, offenen Wettbewerb, schlanke staatliche Strukturen und Privateigentum. All das, was andernorts unter „liberal“ läuft und von Österreichs Sozialdemokraten, Konservativen und Nationalisten in ungewohnter Einigkeit gerne als „neoliberal“ diskreditiert wird. Interessant, oder? Der Liberalismus ist so erfolgreich, dass man ihn nur mit Vorsilben bekämpfen kann.
Dieselben Leute tun auch so, als stünden sich Staat und Markt in einem permanenten Kampf gegenüber, aus dem am Ende nur einer lebend hervorgehen könne. Auch das ist eine reine Erfindung jener Kräfte, die nur ein Ziel kennen: dem allumfassenden Staat zum Durchbruch zu verhelfen. Am passenden „Framing“ fehlt es jedenfalls nicht. Seit vielen Jahren wird den Menschen eingeredet, sie würden in einem „neoliberalen“ Zeitalter leben, in dem die Schwachen den Starken schutzlos ausgeliefert seien wie nie zuvor in der Geschichte. Und das nur deshalb, weil die alles dominierenden Märkte dem fürsorglichen Staat immer mehr Raum genommen haben, ihn regelrecht kaputtgespart hätten.
"Die Attributsliberalen sind vor allem eines: staatsverliebt und antiliberal."
Das zu behaupten, ist in weiten Teilen Europas, insbesondere aber in Österreich, geradezu obszön. Die Überhöhung alles Staatlichen steht hierzulande ganz oben auf der Tagesordnung. Vom Bildungswesen über das Gesundheits- und Pensionssystem, die Altenpflege bis hin zur Müllensorgung und Energieversorgung: alles staatlich. Die Abgabenlast ist erdrückend, die Staatsausgaben jagen seit Jahrzehnten von einem Rekord zum nächsten. In den 75 Jahren seit Ende des Zweiten Weltkrieges war der Bundeshaushalt drei Mal im Plus, 72 Mal im Minus. Was antiliberale Kräfte nicht daran hindert, das „Dogma des Nulldefizits“ anzuprangern.
Arbeitnehmer wie Arbeitgeber dürfen ihre Interessenvertretung nicht frei wählen, sie wird ihnen vom Staat zugewiesen. Jahr für Jahr werden den Bürgern auf diese Weise Milliarden an Kaufkraft entzogen, weil sie in den Augen der Nationalräte zu blöd dafür sind, sich selbst die passende Vertretung auszusuchen. Menschen, die diese Legende der „Hegemonie der Märkte“ unermüdlich in die Welt tragen, bezeichnen sich paradoxerweise selbst gerne als liberal. Allerdings nicht ohne Attribut. Besonders beliebt sind die Begriffe „gesellschaftsliberal“, „linksliberal“ oder „sozialliberal“. Nur was genau soll das eigentlich sein? Sexuelle Freizügigkeit gepaart mit einer kollektivistischen Wirtschaftsordnung? Freie Wohnsitzwahl in ganz Europa für Individuen aus aller Welt, aber das Ende der globalisierten Handelsströme, damit nur noch Güter in „heimischen“ Einkaufswägen landen, die auch garantiert allen österreichischen Sozialstandards entsprechen?
Die Attributsliberalen sind vor allem eines: staatsverliebt und antiliberal. Denn Liberalismus ohne Marktwirtschaft ist kein Liberalismus. Weshalb Sozialismus auch nie liberal sein kann, der Liberalismus aber sehr wohl sozial. Staat und Markt sind nämlich keine Gegner. Ganz im Gegenteil, sie bilden eine höchst erfolgreiche Symbiose, ein nahezu unschlagbares Gespann. Ohne unternehmerisches Risiko und ohne freien Welthandel gibt es keine Arbeitsplätze, keine Absatzmärkte, keine Steuereinnahmen und keine Sozialbeiträge. Und ohne Staat gibt es keine Rechtssicherheit und keinen sozialen Ausgleich. Die Einnahmen aus der Marktwirtschaft finanzieren den Sozialstaat, und der Sozialstaat sorgt wiederum dafür, dass hierzulande alle Menschen versorgt werden, die das aus eigener Kraft nicht können.
Dieses Modell der Sozialen Marktwirtschaft hat uns alle zu einem für niemals möglich gehaltenen Massenwohlstand geführt. Es ist geradezu absurd, wenn sich die Verfechter dieses Erfolgsmodells auf der Anklagebank wiederfinden, während jene das große Wort schwingen, die der allerorts gescheiterten staatlichen Kommandowirtschaft zu einer neuen Chance verhelfen wollen. Womit sich eines zeigt: Diese Epidemie hat nichts, aber auch gar nichts Gutes an sich.