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Millionen-Anklage gegen Kurz-„Kronzeugen“

Dem Staat sollen Millionen durch den zu günstigen Verkauf von Immobilien des Integrationsfonds entgangen sein. Ein Freundesnetzwerk soll ebenso angeklagt werden, wie ein Ex-Chef des Fonds. Er hat sich der Justiz als möglicher Kronzeuge gegen Ex-Kanzler Kurz angetragen.

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Ergänzung 16.8.2024: profil berichtete bereits vor einem Jahr exklusiv über die Details der Millionen-Anklage rund um den Integrationsfonds. Die Anklageschrift ist mittlerweile rechtswirksam, kommende Woche startet der Prozess. Hier lesen Sie, worum es in der Causa geht.
 

Justitias Waage ist fein kalibriert – in Nuancen bemisst sie Argumente für und wider jene, die vor ihr auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Im aktuellen Fall rund um den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) braucht Justitia jedoch eher eine Brückenwaage, so weit liegen Darstellungen und Meinungen von Beschuldigten und Staatsanwälten auseinander. Aber auch in der Anklagebehörde selbst ist man sich offenbar nicht sicher, wie man am besten mit dem Fall umgehen soll.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat nun ausgerechnet eine Person angeklagt, die sie über die vergangenen Monate offenbar ermunterte, in einem anderen Zusammenhang Kronzeugenstatus zu beantragen. Der Mann – ein früherer Geschäftsführer des mit staatlichen Mitteln gespeisten ÖIF – hat daraufhin gegen niemand geringeren als den türkisen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz ausgesagt, belastendes Material vorgelegt und nebenher in der Hoffnung auf Straffreiheit einen Tatbeitrag eingestanden.

Der Vorwurf: Gelder des Integrationsfonds seien zur Bewerbung des türkisen Shootingstars und nicht zweckgemäß im Sinne des Fonds verwendet worden. profil berichtete exklusiv, der Ex-Kanzler hat sämtliche Vorwürfe immer vehement bestritten. Dieser frühere ÖIF-Chef wiederum muss die von ihm erhoffte Straffreiheit nun auf anderer Ebene durchkämpfen – allerdings nicht wie erhofft gemeinsam mit der WKStA, sondern gegen diese. Dabei geht es nicht um sein Geständnis in Sachen Kurz, sondern um ein 2015 gestartetes Ermittlungsverfahren um Immobiliendeals des ÖIF im Zeitraum 2006 bis 2009.

Eine Anklageschrift wurde vor wenigen Wochen beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingebracht. Da mehrere Beschuldigte Einsprüche eingebracht haben, ist sie noch nicht rechtswirksam. Sie liegt profil exklusiv vor.

Umfangreiche Anklageschrift

Die WKStA breitet ihre Vorwürfe auf knapp 900 Seiten aus: Der ehemalige ÖIF-Geschäftsführer und vier Mitangeklagte sollen den ÖIF massiv geschädigt haben. Unter anderem seien Immobilien des Fonds weit unter ihrem Wert veräußert worden. Der angenommene Gesamtschaden übersteigt zehn Millionen Euro. Es geht um Untreue in unterschiedlichen Beteiligungsformen. Das Strafmaß ist mit bis zu zehn Jahren saftig. Kronzeuge in spe und gleichzeitig Angeklagter, wie geht das zusammen?

Die Geschichte nimmt Ende 2016 an Fahrt auf: Das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) rückt im Auftrag der WKStA zu einer Reihe von Razzien und Sicherstellungen aus. An dreizehn Adressen nehmen sie Unterlagen, Handys und Computerdaten mit – auch beim ÖIF in der Wiener Schlachthausgasse.

Der Integrationsfonds war im Jahr 1960 vom UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR und vom Bundesministerium für Inneres unter dem Namen „Flüchtlingsfonds der Vereinten Nationen“ gegründet worden. Im Jahr 2002 wurde der Fonds aus dem Innenressort mit eigener Satzung und Gremien ausgegliedert, maßgeblich finanziert wurde er aber immer noch über das Ministerium, das auch die Aufsicht ausüben sollte. Hauptaufgabe des ÖIF war lange Zeit die Umsetzung der Integrationsvereinbarung sowie die Unterbringung von Flüchtlingen. Mit der Zeit transformierte sich der Fonds Richtung Bildung – und veräußerte die in die Jahre gekommenen Immobilien. Zu billig, wie der Rechnungshof im Jahr 2015 attestierte. Die Staatsanwaltschaft nahm dies und eine Anzeige der damaligen Grünen Nationalratsabgeordneten Gabriela Moser zum Anlass, Ermittlungen zu starten.

Langwierige Ermittlungen

Die Causa um die angeblich zu billig verkauften Immobilien zieht sich also schon lange. Der Akt von Buwog-Staatsanwalt Alexander Marchart und Oberstaatsanwältin Barbara Schreiber ist gut abgelegen, etwas Richtungsweisendes ist schon seit Monaten nicht mehr passiert.

Nun hat die WKStA – nach einer vom Ministerium verordneten Überarbeitung – eine Anklage gegen fünf Beschuldigte und zwei Verbände eingebracht. Sie liest sich wie ein Krimi, in dessen Zentrum eine kleine, ÖVP-nahe, verschworene Truppe stehen soll, die sich nicht nur teils seit Schultagen kennt, sondern auch miteinander kriminell geworden sein soll.

Die Anklageschrift wurde postwendend beeinsprucht – unter anderem vom Ex-ÖIF-Chef. Er will sich nichts zuschulden kommen lassen haben. Das hat er mehrfach deponiert. Zuletzt, als er bei der WKStA war und um Kronzeugenstatus in Zusammenhang mit den Kurz-Vorwürfen ansuchte.

Dort hielt er in Bezug auf die Immobilien-Causa extra fest: Ihm sei zwar bewusst, dass er, falls er auch hier gestehen würde, seine „eigenen Verfehlungen – untechnisch gesprochen – gegen eine Diversion“ eintauschen könne. Er habe seine Aufgaben als Geschäftsführer jedoch „stets korrekt und sachlich wahrgenommen“, die Vorwürfe gegen ihn seien „ohne strafrechtlich relevantes Substrat“.

Hat ihm die WKStA tatsächlich eine Diversion in Aussicht gestellt? Auf profil-Anfrage sagt die Behörde dazu nichts. Wenn ja, wäre es für den früheren ÖIF-Chef ein Leichtes gewesen, billig davonzukommen. Er blieb dabei: Er könne nichts gestehen, was er nicht getan habe. In anderer Sache zeigte er sich aber durchaus geständig: Er gab an, Kurz’ Spiel eine Zeit lang mitgespielt zu haben. Am Ende seiner Beichte bat der Mann schließlich um Straffreiheit.

Gezerre unter Anti-Korruptionsermittlern

Dieser gesamte Themenkomplex wurde in einen neuen Akt ausgegliedert, um den es – profil-Informationen zufolge – nun innerhalb der WKStA ein Gezerre geben soll. Er passt nämlich auch zu den Ermittlungen eines anderen, höchst ambitionierten Staatsanwaltes: Gregor Adamovich ist Chefermittler in der sogenannten „Inseratencausa“.

Seit 2021 geht er mit seinem Team der Frage nach, ob Ex-Kanzler Sebastian Kurz mit Hilfe türkiser Vertrauter Gelder des Finanzministeriums für geschönte Umfragen zu seinen Gunsten missbraucht haben könnte. Mithilfe von millionenschwerer Inseratenvolumina soll dann im Boulevard – allen voran der Tageszeitung „Österreich“ – Stimmung für die neue, türkise Kurz-Bewegung gemacht worden sein. So soll sich Kurz zuerst zum Parteichef und dann zum Kanzler hinaufmanövriert haben. Alle Genannten bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Man könnte darin ein Muster erkennen: Denn auch beim ÖIF sollen für derartige Eigenwerbung Gelder abgezweigt worden sein, behauptet dessen Ex-Geschäftsführer laut Kronzeugenantrag. Kurz war erst 25 Jahre alt, als er im Jahr 2011 unter Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zum Integrationsstaatssekretär ernannt wurde. Der Fonds war sein erstes Vehikel mit Macht, Menschen und Geld.

Der ÖIF avancierte derart zum Liebkind des späteren Kanzlers, dass er ihn auf all seinen weiteren Stationen mitnahm: zuerst ins Außenministerium, dann ins Kanzleramt. Mit Kurz’ Bedeutung wuchs auch die des ÖIF: Als der türkise Shootingstar seine Karriere in der Spitzenpolitik 2011 startete, hatte der Fonds laut jährlichem Bericht 147 Mitarbeiter, heute sind es knapp 500. Das Budget von damals neun Millionen Euro hat sich für heuer verfünfzehnfacht. Die Budgets für die Öffentlichkeitsarbeit sollen sprunghaft gewachsen sein. Es soll in Boulevard-Inserate sowie Umfragen geflossen sein, die mehr der Partei denn dem Fonds dienlich gewesen sein sollen.

Das Liebkind des Ex-Kanzlers

Es geht noch weiter: Kurz soll den – laut Satzungen selbstständigen – Fonds von Schwarz auf Türkis umgefärbt haben, sagt der Ex-ÖIF-Chef, der selbst in der ÖVP groß wurde. Gremien sollen so geändert worden sein, dass dort Vertraute von Kurz Schlüsselrollen bekamen. Das bis dahin hauptzuständige Kuratorium wurde entmachtet, ein Aufsichtsrat eingeführt. Da saß dann später eine gewisse Susanne Knasmüller – heute bekannt als Frauen-, Integrations- und Medienministerin Susanne Raab. Vorsitzender war Stefan Steiner, damals Kurz’ Büroleiter und später der wichtigste Mann der Türkisen in Strategiefragen. Ab 2011 wurde nach und nach auch die Geschäftsführung ausgetauscht – Kurz„ damaliger Vize-Büroleiter Franz Wolf-Maier, heute bekannt als Franz Wolf, avancierte mit Jahresbeginn 2013 endgültig zum ÖIF-Chef. Eine Position, die er bis heute innehat. Außerdem sollen immer wieder Personalwünsche an den Fonds herangetragen und Parteifreunde versorgt worden sein. Das legen auch profil vorliegende Emails nahe – Kurz bestreitet alle diese Vorwürfe.

Das alles passt zu jenen Vorwürfen, die schließlich Ende 2021 zu Kurz’ Rücktritt geführt haben. Ein dritter Kronzeuge – nach Meinungsforscherin Sabine Beinschab und Ex-Finanz-Generalsekretär Thomas Schmid, der ebenfalls um diesen Status angesucht, ihn aber noch nicht erhalten hat – wäre für die Kurz-Ermittler wohl Goldes wert.

Ermittlungen ohne Ermittlungen

Eigenartigerweise hat die WKStA auf Anfrage bisher bestritten, Ermittlungen in der vom früheren ÖIF-Chef aufgeworfenen Angelegenheit zu führen. Allerdings ist der Mann seit März 2022 mehrfach und stundenlang dazu einvernommen worden. Beweismittel wurden aufgenommen. Was soll das sonst sein außer Ermittlungen? Doch auch auf neuerliche profil-Anfrage sagt die WKStA: „Die WKStA führt in diesem Zusammenhang keine Ermittlungen.“

profil-Informationen zufolge hat das eben auch mit Uneinigkeit innerhalb der Ermittlungsbehörde zu tun, zu wem das Verfahren wandern soll. Derzeit ist noch immer Staatsanwalt Marchart zuständig, der im ÖIF-Immobilienverfahren ermittelt. Es ist anzunehmen, dass mit ihm entsprechende Vorgespräche getätigt wurden, ob ein Ansuchen auf einen Kronzeugenstatus überhaupt aussichtsreich ist. Warum sollte man sich sonst bei der Staatsanwalt selbst belasten?

Heikler Spagat

Der Umgang der Strafjustiz mit Kronzeugen ist ein heikles Thema – nicht nur aus Sicht derer, die von den Geständnissen belastet werden, sondern auch für potenzielle Kronzeugen selbst. In Österreich dürfen Staatsanwaltschaften Beschuldigten im Vorfeld keine Deals anbieten. Gleichzeitig muss ein Kronzeuge auf fairen Umgang bauen können.

Ein Spagat, dessen Gelingen große Wirkung haben kann: Gerade in komplexen Wirtschafts- und Korruptionscausen kann es für den Erfolg entscheidend sein, ob jemand aus dem inneren Täterkreis auspackt – oder eben nicht.

Der Kronzeugenantrag wurde am 17. Jänner 2023 eingebracht. Da wiederum muss die ÖIF-Anklage längst in Ausarbeitung gewesen sein. Denn nur wenige Monate später, Ende Mai 2023, langte diese nämlich vom selbigen Staatsanwalt bei Gericht ein – wobei der Akt vorher alle internen Instanzen durchwandert hatte: Oberstaatsanwaltschaft, Ministerium und Weisungsrat.

Das dauert normalerweise Monate, manchmal Jahre. Der Staatsanwalt nahm den früheren Geschäftsführer also mehrfach in der Kurz-Sache ein, während er gleichzeitig auf die Genehmigung seiner Anklage wartete.

Die Anklage

Das Vorgehen ist so ungewöhnlich wie die Anklageschrift selbst: Sie ist mit fast 900 Seiten äußerst umfangreich. Zum Vergleich: Als der frühere Planungssprecher der Wiener Grünen, Christoph Chorherr, vor Kurzem mit dem A & O der Baubranche vor Gericht stand, umfasste die – wiederum ungewöhnlich kurze – Anklageschrift gerade einmal fünfzig Seiten.

Die Chorherr-Causa endete in erster Instanz nicht rechtskräftig mit Freisprüchen. Der Richter soll dem Vernehmen nach übrigens in beiden Fällen derselbe sein: Michael Tolstiuk.

Sofern es zur Verhandlung kommt. Denn zumindest zwei der Beklagten haben Einspruch erhoben. Der frühere ÖIF-Chef und ein langjähriger Freund desselben, der einst ebenfalls in einem schwarzen Spitzenamt tätig gewesen war. Die Namen beider Personen dürfen aus medienrechtlichen Gründen vorerst nicht genannt werden.

Die WKStA skizziert die Geschichte von Menschen, die einander sehr gut kennen – teils ging man miteinander zur Schule, teils jagen, teils begann man just am selben Tag für die ÖVP zu arbeiten, teils machte man miteinander gute Geschäfte. Im Zentrum der Anklageschrift stehen drei Personen: der frühere ÖIF-Geschäftsführer, ein Berater, der einst im Innenministerium eine zentrale Position innehatte, und ein Immobilienunternehmer. Dazu kommen zwei weitere Beschuldigte: jemand aus der Baubranche und noch jemand aus dem Immobilienbereich.

THEMENBILD: JUSTIZPALAST/ãJUSTITIAÒ

Alte Freunde

Sie sollen wiederum mit dem angeklagten Unternehmer in guten Geschäftsbeziehungen gestanden sein. Umrahmt wird das Bild, das die WKStA entwirft, von willfährigen und/oder unerfahrenen Immobiliengutachtern, die nicht mitangeklagt sind, weil sie quasi gerade noch innerhalb der Gesetze agiert haben sollen.

Die Kernthese der Anklageschrift lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Der damalige ÖIF-Chef ist und war mit dem Berater befreundet und verdankte dessen einstiger Machtposition im Ministerium seinen Job. Auf der anderen Seite lobbyierte der Berater für den Unternehmer, der mit dem ÖIF Geschäfte machen wollte und ständig Geld brauchte.

Laut Anklageschrift beauftragte der ÖIF-Chef den Unternehmer im Jahr 2006 zunächst mit der Verwaltung von ÖIF-Wohnungen, 2008 verkaufte er ihm zwei Wohnhäuser des Fonds, 2009 weitere 70 ÖIF-Wohnungen und ebenfalls 2009 mietete sich der Intergrationsfonds dann in einer Liegenschaft ein, an welcher der Unternehmer mitbeteiligt war.

All das – so die Verdachtslage – zulasten des ÖIF: Die Firma des Unternehmers sei gar nicht Bestbieterin für die Wohnungsverwaltung gewesen, die Immobilienverkäufe seien um mehrere Millionen Euro zu billig erfolgt, die Einmietung im Jahr 2009 wiederum viel zu teuer.

Bei alldem soll der mit dem damaligen ÖIF-Geschäftsführer befreundete Berater im Hintergrund aktiv gewesen sein. Die WKStA stellt ein mutmaßliches System aus geschobenen Vergabeverfahren dar, bei denen immer wieder derselbe Personenkreis eine Rolle gespielt haben soll. In der Anklageschrift ist von „Potemkinschen Dörfern“ die Rede, „bei denen tatsächlich nur nach außen hin die Fassade der Korrektheit bestand“.

Schnäppchenjagd

Gemäß Verdachtslage sollen dem Auftrag für die Wohnungsverwaltung zwei manipulierte Ausschreibungsverfahren vorangegangen sein. Die beiden Wohnhäuser mit insgesamt 167 Wohneinheiten konnte der Unternehmer später um rund 1,2 Millionen Euro erwerben, obwohl diese ein Vielfaches davon wert gewesen seien, so der Vorwurf. Der durchschnittliche Kaufpreis pro Wohnung belief sich demnach gerade einmal auf 7095,81 Euro.

Dabei sollen „Gefälligkeitsgutachten“ und „Deckanbote“ eine Rolle gespielt haben. Als der Unternehmer dann zwecks Kaufpreisfinanzierung mit seiner Bank in Kontakt trat, bezeichnete er den Deal laut Anklageschrift als „Weihnachtsgeschenk“.

Der Bankberater wiederum hielt intern in einer Stellungnahme fest: „… hat hier spekuliert und absichtlich unterpreisig angeboten. Da er aber als einziger ein verbindliches Anbot gelegt hat, hat er den Zuschlag erhalten.“ Die Bank ermittelte einen Verkehrswert der beiden Häuser von rund 4,5 Millionen Euro.

Schönes Paket

Ähnlich soll die Angelegenheit laut Anklageschrift in Bezug auf den Paketverkauf von 70 ÖIF-Wohnungen im Folgejahr gelaufen sein: Eine Firma, welche die WKStA dem Unternehmer zurechnet, bezahlte rund 870.000 Euro – im Schnitt 12.392,86 Euro pro Wohnung.

Ein Mitarbeiter der finanzierenden Bank schätzte laut Anklageschrift alleine den Verkaufswert von 17 ausgewählten Wohnungen aus dem Paket auf 1,3 Millionen Euro. Der Verkehrswert würde den Kaufpreis „überaus deutlich“ übersteigen. Bei der Anmietung der Immobilie für das Integrations-Vorzeigeprojekt „Habibi“ wiederum soll ein Schaden von rund 2,8 Millionen Euro entstanden sein – die Differenz zu einem „drittüblichen Mietzins“.

Zu diesen Hauptvorwürfen gesellen sich in der Anklageschrift noch einige Nebenvorwürfe, die vergleichsweise klein erscheinen, für sich genommen aber immer noch schwere Verdachtsmomente darstellen. Der damalige ÖIF-Geschäftsführer soll laut Anklage all das gewusst haben und – teilweise durch Falschinformationen – das Kuratorium des Fonds zur Zustimmung bewegt haben.

Ihm lastet die WKStA an, einen Schaden von insgesamt zumindest rund 11,6 Millionen Euro herbeigeführt zu haben. Zur Verdeutlichung ihrer Verdachtsannahmen stellt die WKStA darüber hinaus eine Reihe von Sachverhalten dar, die per se nicht angeklagt wurden, aber eine Gesamteinschätzung ermöglichen sollen.

Die Verteidigung

Der frühere ÖIF-Chef hat sämtliche Vorwürfe im Rahmen des Ermittlungsverfahrens immer bestritten. Öffentlich wolle er sich „zu den unrechtmäßigen Vorwürfen“ jedoch nicht äußern, lässt der Beschuldigte über einen Anwalt wissen. Nur so viel: Die Vorwürfe seien unrichtig und er habe sich keines gerichtlich strafbaren Verhaltens schuldig gemacht. Die Anklageschrift sei „auch formal“ mangelhaft, weshalb er einen Einspruch dagegen eingelegt habe.

Ähnliches teilt der Anwalt des Beraters auf profil-Anfrage mit: Sein Mandant sei keine Person des öffentlichen Interesses und möchte „schon aus diesem Grund keine inhaltliche Stellungnahme zu Einzelheiten des Verfahrens abgeben“. Es handle sich um ein noch anhängiges Verfahren, der zuständige Behörde solle nicht vorgegriffen werden. „Im Verfahren wird sich ergeben, dass die Vorwürfe jeder Grundlage entbehren und die Anklageschrift schon mit der Aktenlage nicht übereinstimmt. Aus diesem Grund wurde auch ein Einspruch gegen die Anklageschrift eingebracht.“ Der beschuldigte Unternehmer wiederum ließ eine profil-Anfrage unbeantwortet.

Falls die Einsprüche keinen Erfolg haben und die Anklage vor Gericht geht, scheint bereits jetzt klar, worüber besonders heftig debattiert werden wird: Da wäre einmal die Frage, ob die – mittlerweile verstorbene – ÖVP-Innenministerin Liese Prokop den damaligen ÖIF-Chef angewiesen hat, alle Wohnungen des Fonds zu verkaufen (wie der Beschuldigte sagt) oder nicht (wovon die WKStA ausgeht).

Tatsächlich orientierte sich der ÖIF in jener Zeit in Richtung Sprach- und Berufsausbildung um. Dennoch müsste der Geschäftsführer bei einem Wohnungsverkauf naturgemäß das beste Ergebnis für den Fonds herausholen. Ob er das gemacht oder – umgekehrt – absichtlich unterlassen hat, wird das Gericht beurteilen müssen.

Unklares Motiv

In diesem Zusammenhang stellt sich nicht zuletzt die Frage nach dem Motiv. Warum hätte sich der ÖIF-Chef absichtlich strafbar machen sollen, um dem Unternehmer Millionen zuzuschanzen?

Die WKStA argumentiert mit der Freundschaft zum Berater, der für den Unternehmer tätig war und von diesem durchaus beträchtliche Summen kassierte. Eine Bereicherung des früheren ÖIF-Geschäftsführers geht aus der Anklageschrift nicht hervor. Diese ist bei Untreue zwar nicht Tatvoraussetzung. Ein klares Motiv würde die Argumentation der WKStA aber stützen.

Die Behörde verweist auch darauf, dass sich der frühere ÖIF-Chef eine Briefkastenfirma in Liechtenstein eingerichtet habe. Einen direkten Konnex zu den von der Anklage umfassten ÖIF-Geschäften stellt sie jedoch nicht her. Dass derartige Zusatzaspekte dennoch in voller Breite aufgerollt werden, hat der WKStA in Anwaltskreisen mitunter schon der Vorwurf der Stimmungsmache eingebracht.

Einflussreicher Kumpel

Um wiederum den Einfluss des Beraters zu unterstreichen, verweist die WKStA darauf , dass der damalige ÖIF-Chef – teilweise in anderen Funktionen – ab dem Jahr 2005 „immer wieder Aufträge für die Schwestern“ des Beraters geschaffen und „auch das Unternehmen der Ex-Frau“ des Beraters eingesetzt haben soll.

Wie stark der Einfluss des charismatischen Beraters auf den ÖIF-Chef tatsächlich? Was wusste er über den Hintergrund der diversen Geschäfte?

Heiß diskutiert wird mit Sicherheit auch die Frage, wie sanierungsbedürftig die verkauften Wohnungen tatsächlich waren. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass der Unternehmer die Wohnungen im Jahr 2016 an den ÖIF zurückgeben wollte – was die Finanzprokuratur ablehnte. War man mit den Verkäufen also doch ganz zufrieden?

Nicht unbedingt: Der Unternehmer hätte im Gegenzug für die Rückgabe der Immobilien im Jahr 2016 den Ersatz sämtlicher Aufwendungen verlangt. Ein rechtliches Minenfeld.

Widersprüche und Bestätigungen

Der Vorwurf, der Ex-Geschäftsführer habe das Kuratorium getäuscht, dürfte – sofern die Sache vor Gericht landet – ebenfalls ein Streitpunkt werden: Es gibt etliche Sitzungsprotokolle, die von der Verteidigung als Belege angeführt werden. Spätere Ermittlungsergebnisse und Zeugenaussagen bestätigen und widerlegen das mitunter gleichzeitig.

Ein Beispiel: Vor dem Verkauf der beiden Wohnhäuser hat ein Kuratoriumsmitglied – ein hochrangiger Beamter des Wirtschaftsministeriums und Experte für Hochbau – die Immobilien sogar selbst besichtigt. In einem Mail schrieb er dann, er könne die „ungefähre Abschätzung des erforderlichen Sanierungsbedarfs bzw. Investitionsvolumens … vollinhaltlich bestätigen“.

In der Anklageschrift behauptet die WKStA wiederum, der Beamte sei ohne sein Wissen geschickt instrumentalisiert worden. Die Sanierungsbedürftigkeit der Häuser sollte ihm bei der Begehung „gezielt als besonders drastisch vor Augen geführt werden“. Die WKStA wirft dem Ex-ÖIF-Chef vor, im Kuratorium den Eindruck erzeugt zu haben, der Experte hätte auch die angegebene Höhe von Sanierungskosten von 4,6 Millionen Euro bestätigt. Später als Zeuge befragt sagte der Mann, er fühle sich durch das Protokoll „fehlinterpretiert“. Er habe nie Zahlen genannt.

Diffizile Fragen

Emotionale Debatten und inhaltlich diffizile Auseinandersetzungen dürfen vor Gericht also erwartet werden. Die Causa rund um den Integrationsfonds erinnert frappant an die Immobilien-Verkäufe aus dem sogenannten Stadterweiterungsfonds. Bei diesbezüglichen Ermittlungen ging es ebenfalls um Untreuevorwürfe, die sogar einen ähnlichen politischen Personenkreis betrafen – der Ex-Chef des Integrationsfonds war auch Geschäftsführer des Stadterweiterungsfonds, der ebenfalls zum Innenministerium gehörte.

In diesem Fall urteilten die Gerichte mit recht klaren Freisprüchen und stellten fest, dass die persönliche Verwobenheit zwar auffällig, aber nicht strafbar sei.

Dass Menschen, die einander kennen und einander vertrauen auch gerne miteinander arbeiten, kommt naturgemäß öfters vor. Wurde es rund um den Integrationsfonds zu eng? Die Republik als Familienbetrieb für Freunde, Jäger und Parteigänger – zulasten der Steuerzahler? Ob der strafrechtliche Verdacht diesmal hält, wird sich zeigen.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.