Es muss Liebe sein
Anfang dieser Woche vor 100 Jahren, am 1. Oktober 1924, verwandelte sich die österreichische Welt zum Besseren, zumindest eine gewisse Zeit lang. „Hallo, hallo, hier Radio Wien. Welle 530“, meldete sich die „Radio-Verkehrs-Aktien-Gesellschaft“ (RAVAG) erstmals zu Wort. Die Qualität der Töne, die aus den 11.000 gemeldeten Empfangsstationen drangen, war unterirdisch, die Reichweite auf den Umkreis beim Wiener Stubenring beschränkt. Richard Wagners Musik, die an Tag eins in die Wohnzimmer der jungen Republik flutete, war reinstes Knistern.
Eine große Idee war dennoch in der Welt. Technik- und Medienrevolution in Echtzeit. Im Folgejahr zählte die RAVAG bereits 100.000 Kundinnen und Kunden. Wie später beim Internet ging auch die Etablierung des Radios mit überbordendem Optimismus einher. „Demokratie, dein Mund heißt Radio!“, schwärmte der Berliner Autor Alfred Döblin. Heute muss man keinem Kind erklären, was ein Radio ist. Der vor zwei Jahren verstorbene Conférencier und Sänger Willi Resetarits hinterließ die Lebensweisheit, dass er beim Verlassen seiner vier Wände das Radio weiterspielen lasse. „Damit die Wohnung auch was hat.“
Radio, mon amour, die Welt hast du natürlich nicht besser gemacht, vielleicht aber interessanter, was am Ende womöglich aufs Gleiche hinausläuft. Die Risse in der großen Radioerzählung sind schnell zu finden: Die Nationalsozialisten degradierten den Rundfunk zur totalitären Apparatur, die Nachkriegsparteien sahen im Massenmedium die vollendete Plattform für Propaganda und Agitation. Vor 60 Jahren wurde das Rundfunkvolksbegehren initiiert, auch schon wieder eine Ewigkeit her. Mehr dazu im kommenden profil, flankiert selbstredend von ausführlicher politischer Berichterstattung aus Österreich und dem Nahen Osten sowie einem Interview mit Nobelpreisträger Anton Zeilinger, Österreichs berühmtesten zeitgenössischen Wissenschafter.
Radio war und ist keine Bühne, belauert von Filmkameras und Fotoapparaten. Es ist ein via ausgefuchster Technik verstärktes Sprachrohr für Nachrichten, Unterhaltung, Musik, Diskurs, Scharf- und Blödsinn. Radio ist dermaßen Klang- und Tontheater en gros und en détail, dass sich Ihr Morgenpostler als idiosynkratische Marotte seit Jahren weigert, die Namen vieler Sprecherinnen und Sprecher des Kultursenders Ö1 zu googeln. Eine Wohltat, Worte ohne Bild. Ö1-„Morgenjournal“-Zeremonienmeister Franz Renner wird es einem verzeihen.