Alle zusammen! Beim Festival Wien Modern wird Hochaktuelles verhandelt
„Und jetzt alle zusammen“: Das diesjährige Motto des Festivals Wien Modern, das sein vielgestaltiges Programm ab heute einen ganzen Monat lang über zahllose Stadtschauplätze ausbreiten wird, lässt sich leicht als schlichte Aufforderung zu gemeinsamem Musizieren lesen. Aber man kann es auch anders betrachten: als Anspielung auf die politische Dringlichkeit beispielsweise, mit vereinten Kräften Schlimmeres zu verhindern.
Bei Wien Modern, gegründet 1988 von dem italienischen Dirigenten Claudio Abbado, denkt man bis heute nicht bloß ästhetisch, sondern eben auch weltanschaulich. Als Festival für Neue Musik hat man sich dort die Offenheit bewahrt, die Kunstform in maximaler Breite zu interpretieren; im Elfenbeinturm der orchestralen Spitzfindigkeiten mag man sich nicht verbarrikadieren. Hier wird tatsächlich, über die Abstraktion der Musik, Allgemeingültiges verhandelt: Radikalisierung und Verständigung, Mensch und Maschine, Klima und Existenzbedrohung.
Bernhard Günther geht als künstlerischer Wien-Modern-Leiter nun in sein neuntes Jahr; ein Hang zur Breite ist seiner Programmliste erneut anzumerken: Die 37. Ausgabe dieses Festivals ist mit über 130 Veranstaltungen an 32 Spieltagen fast schon überbordend dicht geraten. Dabei hatte man vor wenigen Tagen erst einen betrüblichen Ausfall zu beklagen: Alle vier geplanten Konzerte zum 50. Geburtstag des weltberühmten Arditti Quartet mussten wegen eines Armbruchs des Cellisten auf kommendes Jahr verschoben werden.
Stiltoleranz
Apropos Stiltoleranz: Experimenteller Pop lugt bei Wien Modern ebenso herein wie Kunst im weiteren Sinne, in Installationen, Performances Choreografien und Filmen. Die kategorisch zwischen den Genres arbeitende Musikerin Maja Osojnik wird am 2. November im Schönbrunner Palmenhaus konzertieren, dort gleich ihr neues Album, das sie, wie den Abend, „Doorways“ nennt, vorstellen. Der slowenischen Komponistin Nina Šenk gilt eine Hommage; schon am Eröffnungsabend im Großen Saal des Wiener Konzerthauses wird, dirigiert von Ingo Metzmacher, „Flux“, ihr jüngstes Konzert uraufgeführt – und neben eine berühmte Raumkomposition Iannis Xenakis’ aus den 1960er-Jahren gestellt werden.
Der im März dieses Jahres verstorbene ungarische Komponist und Dirigent Péter Eötvös steht im Zentrum eines Gedenkkonzerts, während die japanische Improvisationslegende Otomo Yoshihide unter anderem mit Radian-Drummer Martin Brandlmayr und dem Berliner Klangfreidenker Axel Dörner auftreten wird. Und Christof Dienz’ jüngstes Werk, „Die Puppe“ – der Künstler selbst nennt es nicht Oper, sondern „Operoid“ –, wird sich um Mensch & Maschine, KI und ihre Konsequenzen drehen. Eine Auslotung der musikalischen Gegenwart ist eben stets auch eine Tour de Force durch die Gegenwart per se.
„Digging Schönberg“
Aber auch an Arnold Schönberg, dessen Geburtstag sich 2024 zum 150. Mal jährt, ist heuer (glücklicherweise) nicht vorbeizukommen. Ein dreitägiges, in englischer Sprache abgehaltenes Symposium, das ganz selbstverständlich auch Schönbergs Spätfolgen in Jazz, Punk und Gaming berücksichtigt, wird unter dem schönen Titel „Digging Schönberg“ zwischen 6. und 8. November stattfinden. Zudem hat der Komponist Manos Tsangaris im Auftrag von Wien Modern ein monumentales Stationentheater namens „Arnold Elevators“ geschaffen, das sich mit einem privaten Drama im engsten Umfeld Schönbergs befasst.
Und zweimal wird im Rahmen dieses Festivals Johanna Doderers „Friedensmesse“ erklingen. Was kann Musik denn, fragt die Komponistin? „Kann sie zu Frieden beitragen? Meine Antwort wäre ja. Musik kann das Unausgesprochene sagen und Wahrnehmungen schärfen, berühren, die Menschen ,seelisch öffnen’, die Kraft und den Mut fördern, um zu einem friedlichen Miteinander zu stehen.“