Morgenpost

Allerseelen: Muss der Tod Wiener sein?

Warum die echtesten Wiener gar keine sind, der Boandlkramer Quiqui heißt und der Schmäh in Helsinki genauso rennt.

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Allerseelen ist der Tag des Totengedenkens. Nun sollte die profil-Morgenpost vom Konzept her informativ oder vergnüglich sein, am besten beides, jedenfalls nicht schwer und bedrückend. Doch was soll man schreiben an diesem Tag? Zumal in der profil-Redaktion in Wien, wo vielleicht nicht Gott, aber immerhin der Tod wohnt, wie Georg Kreisler sang: „Der Tod, das muss ein Wiener sein." Die Verbindung der Bundeshauptstadt zum Quiqui – warum in die Wiener so nennen, wird hier erklärt – soll ja eine besondere sein. Exemplarisch sei hier eine Stelle aus einem deutschen Reiseführer zitiert: „Wien und der Tod: Das ist eine ewige Liebe. Ein besonderes Verhältnis zwischen sentimental-melancholischer Koketterie und nahezu inniger Intimität.“ Wenn Reiseautoren, die solche Sätze schreiben, bald durch Textprogramme ersetzt werden, sind sie selbst schuld. Helge Timmerberg, der beste seiner Zunft, würde derartigen Stuss nie schreiben. Der 70-Jährige macht sich in seinem jüngsten Buch auch über den Tod Gedanken.

Wahr ist, dass die Wiener und die Wienerinnen den Boandlkramer (wie ihn die Bayern nennen) ebenso ablehnen wie die meisten anderen Menschen auch. Der Wiener ist entgegen der landläufigen Meinung auch nicht grantiger als Bewohner vergleichbarer Großstädte in Europa. Und er hat auch keinen besseren Schmäh als ein durchschnittlicher Münchner, Madrilene oder Helsinkier. Im Gegenteil: Wenn in Wien der Schmäh rennt, ist es meist zum Davonlaufen, vor allem wenn Wiener gegenüber Touristen ihren ortstypischen Charme spielen lassen. Interessant wäre es zu wissen, was im deutschen Reiseführer über den Wiener Schmäh stünde. Vielleicht: „Wien und der Schmäh: Das ist eine ewige Liebe. Ein besonderer Humor zwischen sentimental-koketter Melancholie und nahezu intimer Innigkeit.“

Der österreichische Kabarettist Georg Kreisler

Die Klischees über Wien sind Legion, so auch jenes über den „echten Wiener“, der nur in der Parodie vorkommt und nicht in der freien Natur. Das zeigt sich schon daran, dass die echtesten Wiener – ob Prolo, ob Edelmann – ursprünglich ein Niederösterreicher (Karl Merkatz) und ein Bayer (Michael Heltau) sind. Das ist weiter kein Problem, Wien lebt seit jeher von seinen Zuwanderern. Mozart kam aus Salzburg, fühlte sich in Wien bekanntlich wohler und war hier auch produktiver (Zauberflöte! Requiem!). Trotzdem ist Salzburg die „Mozartstadt“ und Wien nur der Ort, wo er im Massengrab verscharrt wurde. Ein klarer Punkt für das Salzburger Stadtmarketing. Auch Beethoven war ein Zugezogener und machte in Wien Weltkarriere. Und die Habsburger, die von Wien aus jahrhundertelang den halben Kontinent regierten, stammen ursprünglich aus dem Schweizerischen.

Vielleicht wird den Wienern ja deshalb ein besonderes Verhältnis zum Tod angedichtet, weil sie im Österreich-Vergleich die geringste Lebenserwartung haben. Am längsten sind Tiroler, Salzburger und Vorarlberger auf der Welt. Das Leben, das muss ein Westösterreicher, eine Westösterreicherin sein.

Leben Sie wohl!

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.