Nehammers Besänftigungen und Kickls Rachsucht
Kanzler Karl Nehammer versucht die Wogen mit dem grünen Koalitionspartner zu glätten, während seine Parteikollegin Johanna Mikl-Leitner erst einen finden muss.
Kanzler Karl Nehammer hat derzeit ein gröberes Mitteilungsbedürfnis. Nach seiner Rede an die Nation vergangene Woche gab es Gesprächsbedarf mit dem Koalitionspartner. Am Montag waren schließlich noch die Chefredakteure des Landes ins Bundeskanzleramt geladen, um bei Brötchen und Kaffee ein paar Wogen zu glätten.
Die waren nach Nehammers Rede ordentlich hochgegangen – zumindest beim Grünen Koalitionspartner. Was der Kanzler dort abgeliefert hatte, diente eher seiner parteipolitischen Profilierung gegenüber seinen Freunden als dem Wohlbefinden der Nation, die sich eine Rede eines Regierungschefs erwartet hatten. Die Veranstaltung wurde allerdings auch von der Partei ausgerichtet und bezahlt, wie Nehammer am Montag berichtete.
Am vergangenen Freitag hatte Nehammer ein paar Pflöcke bis 2030 eingeschlagen, die dem grünen Koalitionspartner so gar nicht gefielen. Das explizite Festhalten am Verbrennungsmotor zum Beispiel; oder, dass Zuwanderern künftig die Sozialleistungen gekürzt werden sollten. Das steht derzeit nicht im Regierungsprogramm und ist mit den Grünen als Koalitionspartner ideologisch auch nicht umzusetzen. Aber was heißt das nun? Dass man bald einen neuen Koalitionspartner wünscht, um die neu gesteckten Ziele bis 2030 zu erreichen? Wer soll das sein? Und war diese Rede der Auftakt zu Neuwahlen?
Nehammer beschwichtigte: Er habe Vizekanzler Werner Kogler vor der Rede gesagt, dass er Unterschiede betonen werde. Das sei nur gut, weil es nie das Ziel dieser Koalition gewesen sei, sich so anzunähern, dass Unterschiede nicht mehr erkennbar seien. Neuwahlen? Nehammer will dienen, und zwar die ganzen fünf Jahre. Das beste aus zwei Welten, der Wahlspruch dieser Koalition, gelte nach wie vor, bekräftigte er.
Apropos Wahlen: Für Niederösterreich hat Nehammer keine Koalitionspräferenz: „Ich habe schon alle Farbmischungen mitbekommen, das hat alles seine Vor- und Nachteile“. Die ÖVP will mit den Blauen gehen - zumindest der Großteil des Klubs. Die inhaltlichen Überschneidungen seien größer als mit der SPÖ, tönt es aus Niederösterreich. Die FPÖ möchte auch gerne mit ein paar gewichtigen Ressorts mitregieren - allerdings nicht unbedingt unter der Führung von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. FPÖ-Niederösterreich-Chef Udo Landbauer hat am Montag erneut betont, dass die Blauen Mikl-Leitner nicht zur Landeshauptfrau wählen werden. Sie solle sich ihre Mehrheiten gefälligst woanders besorgen.
Dieses Vorgehen kann als die ultimative Rache von FPÖ-Bundchef Herbert Kickl gewertet werden. Er vermutet die niederösterreichische ÖVP hinter seinem Sturz als Innenminister. Tatsächlich übte die mächtige Landespartei damals Druck auf die Bundesführung unter Kanzler Sebastian Kurz aus, Kickl von dem Ministerium abzuziehen. Die BVT-Razzia und das rigide Umfärben des traditionell schwarzen Ressorts war der Partei zu viel. Kickl musste unter Zähneknirschen gehen, die ÖVP kündigte die Koalition dann trotzdem auf, Kickl verzeiht das bis heute nicht.
Also was nun, wenn das mehr als nur eine blaue Drohgebärde ist? Wenn man sich mit der FPÖ am Ende doch nicht einigen kann? Was, wenn die schon weit gediehenen Gespräche deswegen scheitern? Es gibt mehrere Möglichkeiten für die ÖVP. Die unwahrscheinlichste: Man organisiert sich die nötige Mehrheit mit Neos und Grünen. Die schon wahrscheinlichere: Man versucht, die zuletzt geplatzten Verhandlungen mit der SPÖ wieder aufzunehmen. Die scheiterten, weil die ÖVP der SPÖ unverschämte, abgehobene Forderungen attestierte. Die Roten hingegen sagten, sie seien nicht so billig zu haben, wie sich die ÖVP das vorgestellt habe. Wer derart viele Wähler verliert, soll auch dementsprechend Macht abtreten. Prinzipiell sollte die ÖVP sowieso ein Interesse haben, der SPÖ etwas anzubieten, selbst wenn die gewünschte Koalition mit der FPÖ klappt. Immerhin gibt es dank Proporz eine rot-blaue Mehrheit gegen sie in der Regierung, ein Damoklesschwert.
Und dann wäre da noch Option 3. Und die heißt: Es wird doch Schwarz-Blau, allerdings mit einer anderen ÖVP-Spitze. Der unverhohlene Wunschkandidat der Blauen: Landesrat Stephan Pernkopf. Er hat ein gutes Verhältnis zur FPÖ. Reinhard Teufel, blauer Landesrat und einst Kickls mächtiger Kabinettschef, war etwa zu Pernkopfs 50.Geburtstag im Sommer zugegen. Im Gegensatz zu Mikl-Leitner, was in der niederösterreichischen Polit-Logik Bände spricht.
Dass in der ÖVP alte Machtkämpfe der Bünde wieder neu aufgeflammt sind, ist kein Geheimnis. Heruntergebrochen geht es um Bauernbund gegen Arbeitnehmerbund. Erstere beschweren sich, dass Letztere zu präsent in wichtigen Funktionen seien. Und das obwohl die Bauern gerade in Niederösterreich das Rückgrat und die Schlagkraft der Partei bilden. Mikl-Leitner gehört dem ÖAAB an, Pernkopf dem Bauernbund. Pernkopf stellte sich zuletzt zwar bei einer Klubsitzung hinter Mikl-Leitner, - nur, wie viel wiegt das in einer fragilen Situation wie dieser? Wie mächtig Mikl-Leitner in ihren eigenen Reihen ist, das wird kaum etwas so deutlich zeigen, wie die nächsten Tage.
Es bleibt also spannend. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Anna Thalhammer