Blau-schwarze Verhandlungskrise: Das Ende naht, ist aber noch nicht da
Man hat noch einmal die Kurve gekratzt. Seitdem die Chefs von Blau und Schwarz ihre Verhandlungen begannen, stand das Projekt mehrfach auf Messers Schneide – und das hat vor allem mit dem erratischen Charakter von Herbert Kickl und seiner radikalen Nicht-Verhandlungsmethode zu tun. Zuletzt sprach man tagelang nicht miteinander, weil man sich ob der Ressortverteilung derart zerstritten hatte, dass schließlich beide Parteichefs wütend vom Verhandlungstisch aufgestanden waren. Nach einer Ehrenrunde beim Bundespräsidenten und einem kurzen gemeinsamen Gespräch am Freitag wollte man sich am Montag wieder treffen.
Dort ist Folgendes passiert: Die Parteichefs trafen sich um 18.30 im Parlament im Raum Fellerer/Wörle. Kurzes Händeschütteln, Tür zu. Zwei Stunden saß man dann und redete. Oder wie es eine Parteigrande formulierte: „Das waren keine Verhandlungen, das war ein Austausch von Papierdeln.“ Zwei Stunden später ging die Tür wieder auf, Statements gab es keiner, heute also nächste Runde. Nach profil-Informationen übergab die ÖVP ein ausführliches Forderungspapier, das muss Kickl wohl erst mal lesen, dafür hat er nun ein paar Stunden Zeit.
Aufatmen in den Parteireihen, zumindest für einen Tag konnten die Situation kalmiert werden und es ist nicht eskaliert. Das ist dieser Tage ja schon viel.
Ein heißer Sonntag
Das Wochenende sollte eigentlich ein ruhiges werden. Die ÖVP wollte in sich gehen, Parteichef Christian Stocker nutzte die Zeit, um in Ruhe ein paar Telefonate zu führen und sich zu beraten. FPÖ-Chef Herbert Kickl war vermutlich viel in der Natur, laufen oder wandern. Das macht er meistens, wenn er nachdenken muss.
Man wollte nach der emotionalen Verhandlungsrunde etwas ausdampfen. Aber dann gingen die Wogen doch wieder hoch. Grund: Das eigentlich vertrauliche Protokoll der Unterverhandlungsgruppen fand seinen Weg in die Öffentlichkeit (auch zu profil, wir danken!). Und schon ging es wieder los mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen, wer denn das Protokoll rausgespielt hätte. Die FPÖ vermutet die ÖVP dahinter – und dass diese so Druck in den Verhandlungen aufbauen wollte. profil analysierte die Metadaten des Papiers – als Verfasser findet sich dort ein FPÖ-Mitarbeiter. Das Protokoll hatten also – anders als anfänglich behauptet – beide Parteien – und viele mehr. Als mich eine Mitarbeiterin einer Umwelt-NGO fragte, ob ich das Dokument schon kenne, dachte ich mir: Es haben wirklich alle. Vertrauensbildend war das eher nicht.
Zurück an den Verhandlungstisch: FPÖ und ÖVP hatten übers Wochenende versucht, ihre jeweilige Taktik nachzuschärfen. Die Marschrichtung war bisher streng geradeaus – das führte am Ende zu einer Pattstellung: Wegen der Ressortverteilung hatte man ebenso große Differenzen wie bei manchen inhaltlichen Punkten. Beide Parteien haben sich nach und nach in ihren Positionen eingegraben, fast unfähig, sich zu bewegen. Die ÖVP beschloss am Montag nach stundenlangen internen Besprechungen, dass man nicht von der Forderung nach dem Innenministerium runtersteigen wolle, sich aber wieder an den Verhandlungstisch setzen und bestimmt nicht der Erste sein werde, der diesen wieder verlässt. Das haben die Schwarzen bei den Verhandlungen mit SPÖ und Neos schon einmal getan, und das hat sie gelinde gesagt in den Umfragewerten nicht gerade nach oben katapultiert. Man wollte diesen Fehler nicht wiederholen.
Kommen wir zur Truppenmoral. Die ÖVP tut sich schwer, diese noch weiter hochzuhalten. Frühere Parteigranden wie Franz Fischler oder der ehemalige Wiener Vizebürgermeister Bernhard Görg stellen sich öffentlich gegen eine Koalition mit den Blauen. Das Innenministerium ist zur Kernstreitfrage geworden – weil es für die ÖVP politisch wichtig ist, und weil es tatsächlich Vorbehalte gibt, Kickl die Exekutive und die Nachrichtendienste zu überantworten. Sein Agieren als Innenminister unter der letzten türkis-blauen Regierung führte zu großem Schaden. Sein Misstrauen hat eine Razzia im Verfassungsschutz befördert – bis heute ist Kickl aber nicht einsichtig, sondern der Meinung, dass sogenannte „schwarze Netzwerke“ ausradiert gehörten.
Aber es ist nicht nur das Innenressort. Je mehr aus den Verhandlungen bekannt wurde, desto mehr wächst der ÖVP-interne Zweifel, ob das Ganze wirklich so eine gute Idee sei. Nehmen wir den angeblich so FPÖ-nahen Wirtschaftsflügel der Partei. Dort wird man langsam wach, ortet mittlerweile potenziell mehr Schaden als Chance. Ein zukünftiger FPÖ-Kanzler, der sich gegen internationale Kooperationen stellt; sich aus der EU so weit wie möglich zurückziehen will; ankündigt, Gesetze nicht einhalten zu wollen – ja das schafft bei Wirtschaftstreibenden nicht unbedingt großes Vertrauen in die Rechtssicherheit des Staates. Je größer der Zweifel in den eigenen Reihen werden, desto eingeschränkter ist Stockers Bewegungsfreiheit.
Kickl unter Druck
Aber auch der Druck auf Kickl ist in den vergangenen Tage massiv gestiegen. In den blauen Reihen regte sich Unmut ob des erratischen Verhaltens des FPÖ-Obmanns. Dieser war nicht nur für die ÖVP tagelang nicht erreichbar – er war es auch für die eigenen Leute nicht. Entscheidungen traf er weitgehend allein oder mit seiner rechten Hand Reinhard Teufel. Kommuniziert wurde intern offenbar kaum, viele FPÖ-Granden erfuhren erst aus den Posts oder Videos ihres Parteiobmanns zeitgleich mit der Bevölkerung, was gerade Sache ist. Der ideologische und der pragmatische Flügel der FPÖ haben zunehmend Auffassungsunterschiede, wie diese Verhandlungen zu führen seien. Vor allem die wirtschaftsliberalen Blauen, die zur ÖVP einen guten und vertraulichen Kanal aufgebaut hatten, verstehen die radikale Vorgangsweise ihres Parteichefs immer weniger. Man will regieren – und das ist eine einmalige Chance. Wer weiß, ob man bei Neuwahlen wieder so gut liegt, und ob sich dann nicht eine schwarz-rote Mehrheit ausgeht. Man befand, Kickl solle sich gefälligst mehr bemühen – auch sozial – hier zu einem Kompromiss zu finden, anstatt Machtspielchen zu spielen und Demutsgesten der ÖVP einzufordern. Auch in den Ländern regt sich Unmut, die FPÖ sitzt mittlerweile in mehreren Landesregierungen. Und selbstverständlich gibt es da auch Begehrlichkeiten (in erster Linie finanzieller Natur). Kickl muss jetzt liefern. Am Ende setzten sich in beiden jene Kräfte durch, die noch nicht an ein Ende der Verhandlungen glauben wollen.
Die blaue Welt
„Ihr seid der Chef, ich euer Werkzeug“. „Auf dich kommt’s an“. „Euer Wille geschehe“. FPÖ-Chef Herbert Kickl kündigte im Wahlkampf an, gegen den „Swingerclub der Machtlüsternen“ vorgehen zu wollen. Und dass Österreich unter ihm eine „Insel der Seligen“ werden sollte. Er inszenierte sich als Schutzpatron des Volkes, mit dem er „gemeinsam Kanzler“ sein wollte.
Zugegeben, das sind gute Wahlslogans, die emotionalisieren – aber nichts über konkrete Pläne der Partei erzählen. Nun hätte der geneigte Wähler einiges davon im Wahlprogramm der FPÖ nachlesen können, aber wer liest schon hunderte Seiten, bevor er/sie sein/ihr Kreuzerl macht? Man muss sagen: leider nur die Wenigsten.
Wie so eine blaue „Insel der Seligen“ aussehen sollte, das lässt sich mit fortlaufenden Koalitionsverhandlungen immer besser skizzieren – vor allem, seit das Gesamtprotokoll der blau-schwarzen Untergruppen geleakt wurde. Wir würden Ihnen dazu gerne ein paar Einblicke anbieten, die Redaktion hat das Programm in seine Einzelteile zerlegt. Dass die Parteispitzen stets kalmierten und den Eindruck der Einigkeit vermitteln wollten – alles Schall und Rauch, wie die Verhandlungsprotokolle belegen. In manchen Untergruppen konnte man sich auf gar nichts Wesentliches einigen. Eine Übersicht der heikelsten Punkte auf der roten Liste finden Sie hier.
Das Kapitel „Medien“ war in den vergangenen Wochen wohl eines der heikelsten. Kickl will nicht nur Volkskanzler werden, er will auch Medienminister sein und die Agenden persönlich im Kanzleramt verantworten. Das hat offensichtlich nicht mit seiner Liebe zu kritischen und unabhängigen Medien zu tun – im Gegenteil, es geht um Kontrolle. Oder anders gesagt: Die FPÖ forciert die Zerstörung von Medien, die ihnen unangenehm geworden sind. Dazu wehrt man sich mit Händen und Füßen gegen Maßnahmen, die sich gegen Fake News wenden oder der Bevölkerung in Form von Bildung eine gewisse Medienkompetenz in einer kompliziert gewordenen Welt vermitteln. Bitte, hier geht’s lang, wenn Sie an Details interessiert sind. profil-Redakteursrat Stefan Melichar hat auch noch einen Kommentar geschrieben, er trägt den Titel „Auf dem Weg zur Maulkorb- und Propaganda-Republik“.
Wir lassen uns das sicherlich nicht gefallen – denn wir sind überzeugt davon, dass es uns gerade jetzt braucht, um den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Wenn Sie auch davon überzeugt sind, bitte abonnieren Sie uns. Unsere Angebote finden Sie hier!
Österreich hat ein milliardenschweres Finanzloch – wie sich Blau-Schwarz vorstellten, es auszufüllen, hat sich Kollege Josef Redl angeschaut. Prinzipiell war man sich hier ziemlich einig. Ein paar Punkte aus den Kapiteln Wirtschaft und Budget: Senkung der Körperschaftssteuer, dafür einen höheren Investitionsfreibetrag. Eine deutliche Senkung der Dienstgeber-Lohnnebenkosten auf zumindest deutsches Niveau (Reduktion von mehr als fünf Prozent). Überstunden sollen steuerlich entlastet werden. Im „System“ soll gespart werden. Auf Seite 2 steht „3,4-24,5 Mrd. bei Subventionen einsparen“. Wir nehmen an, dass es sich um einen Tippfehler handelt. Wir haben übrigens vergeblich nach großen Reformen im Gesundheitswesen oder bei den Pensionen gesucht, die Geld in die Staatskassen spülen würde. Was wir sonst noch so herausgefunden haben, lesen Sie hier.
Für wen es weniger Geld und mehr Regeln geben soll
Ihrem Protokoll zufolge haben sich Blau und Schwarz auf weniger Geld für kinderreiche Familien geeinigt, was fast ausschließlich Zuwandererfamilien betrifft. Fälle wie jener der in Wien lebenden syrischen Familie mit sechs Kindern, die dank Sozialhilfe und Mietzuschuss auf 4600 Euro monatlich kommt, sollen nicht mehr möglich sein. In Zukunft soll es österreichweit – so der Verfassungsgerichtshof nichts dagegen hat – einen einheitlichen degressiven Satz für Kinder geben (analog zum System in Niederösterreich und Oberösterreich, wo die FPÖ in der Regierung sitzt). Die syrische Familie würde nicht mehr wie derzeit 326 Euro pro Kind, sondern 145 Euro erhalten. Und: Bisher gab es zusätzlich die Familienbeihilfe obendrauf, nun soll sie angerechnet werden, was das Gesamteinkommen weiter reduziert.
Generell soll die volle Sozialhilfe für Zuwanderer erst nach einer gewissen Aufenthaltszeit in Österreich (angeführt sind drei Jahre) ausbezahlt werden, bis dahin erhalten die Bezieher nur die Hälfte des vorgesehenen Satzes. Am Beispiel der syrischen Familie: Derzeit erhalten Vater und Mutter für sich allein jeweils 846 Euro. Würden sie neu nach Österreich kommen, stehen ihnen nur noch je 423 Euro zu. In der dreijährigen Wartezeit sind laut dem Protokoll „Deutscherwerb, Integrationspfad, verpflichtende Arbeit/Praktika“ vorgesehen.
Die Sozialhilfe soll auch nicht mehr valorisiert, also im Ausmaß der Inflation abgesichert werden. Dies würde auch inländische Sozialhilfebezieher treffen.
Die FPÖ hackt seit Jahrzehnten auf Ausländern und Muslimen herum. Daher hat man sich zum Thema „Islam“ einiges einfallen lassen – man will ein Hassprediger-Register, konsequentes Durchsetzen eines Burka-Verbots und einen Aktionsplan gegen radikale Online-Imame. Was im Kampf gegen Terrorismus wirklich etwas bringen würde, wäre die viel zitierte Messenger-Überwachung für Ermittlungsbehörden. Das will die FPÖ dann doch wieder nicht – was sie will, lesen Sie hier.
Bildungsreform? Fehlanzeige.
Was hat man in den Schulen vor, wie wird die nächste Generation geformt? Wissenschaftsressortleiter Alwin Schönberger hat sich hineingekniet. Das Programm ist voller Stehsätze. Fast traumatisch oft liest man dort: gegen Gendern und Sexualpädagogik, Entideologisierung von Bildung und Forschung. Hallo, bitte Österreichisch sprechen – Tradition und Brauchtum muss in den Unterricht. Digitalisierung ist irgendwie analog – und falls Sie eine seit Jahrzehnten geforderte und versprochene Reform suchen. Nada. Hier die Analyse.
Eva Sager beschäftigte sich mit Kunst und Kultur. Man konnte sich darauf einigen, dass Österreich hier ganz vorne stehen soll, und es darum eine sogenannte Österreicher-Quote auf Ö3 brauche. Aha. Man konnte sich nicht darauf einigen, die Akademie der bildenden Künste mit der Universität für angewandte Kunst in Wien zusammenzulegen. Oder ein Holocaust-Museum einzurichten. Mehr zum blauen Kulturverständnis lesen Sie hier.
Kommen wir zum Thema Justiz – gegen schwarze und blaue Parteifunktionäre laufen noch immer etliche Ermittlungen. Was hier zu lesen ist, könne man getrost als geplante „Anlassgesetzgebung“ bezeichnen. Journalisten sollen nicht mehr aus Strafakten zitieren dürfen, stattdessen will man die Rechte von Abgeordneten stärken. Kinder will man ab 12 Jahren einsperren können. Alle Pläne zur Justiz hat Max Miller hier beleuchtet.
Ein Detail am Rande, das aber sehr interessant ist: Als Kinderschutzmaßnahme fordert die FPÖ ein Gesetz zum „Parental Alienation Syndrome (PAS)“, zu Deutsch Eltern-Entfremdungssyndrom – einer Pseudodiagnose, die nicht anerkannt ist, die aber das Potenzial hat, besorgte Mütter zum Schweigen zu bringen und den Kinderschutz auszuhebeln. Männerrechtler, olé! Nina Brnada hat sich das angeschaut.
Und weil wir hier bei profil sehr viel Wert auf Gleichberechtigung und Frauenförderung legen, hat sich Iris Bonavida dieses Themas angenommen. Auffällig ist, was nicht im Protokoll steht, beziehungsweise wie wenig drinsteht. Nur eineinhalb von 223 Seiten nimmt das Frauenkapitel ein, eine Aufweichung der Fristenlösung oder andere umstrittene Forderungen wie eine Statistik über Abtreibungen in Österreich finden sich nicht. Das Kapitel bleibt sehr vage, nicht einmal auf Formulierungen wie diese konnten sich die Verhandler einigen: „Förderung der gerechten Repräsentation von Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen“. Die FPÖ ist auch gegen das automatische Pensionssplitting, Anreize für den Umstieg von Teilzeit auf Vollzeit sind nur Gelb markiert. Einig ist man sich immerhin darin, Frauengesundheitszentren auszubauen und den Gewaltschutz weiter zu stärken. Mehr gibt es nicht.
Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen: Bereits am Morgen mit so viel Lesestoff überhäuft zu werden, ist vielleicht etwas überfordernd. Lassen Sie sich ruhig Zeit, diese Themen werden uns noch länger begleiten. Sie hören morgen wieder von mir. Ich höre mich mal um, was heute so passiert.