Zu obrigkeitshörig? Über die Basisdemokratie der Grünen
Vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, wünscht sich Werner Kogler manchmal, er wäre ÖVP-Chef. Als Obmann der Volkspartei hat man es zumindest formal in einer Hinsicht einfach. Wer auf der EU-Liste kandidiert, wird dort sehr formlos entschieden. Der Parteivorstand segnet die Reihung der Bewerbungen schnöde via Umlaufbeschluss ab, das war's. Heute, Montag, werden die Personen offiziell präsentiert. Bisher steht nur der Spitzenkandidat Reinhold Lopatka fest – übrigens auch ein Kandidat, der lange und mühsam in der Partei gesucht werden musste.
Sicher - auch Karl Nehammer hat Bünde und Befindlichkeiten, die beachtet werden wollen. Aber er hat keine Bundeskongresse. So nennen die Grünen ihre Parteitage, die für ihre Unberechenbarkeit bekannt sind. Kaum eine andere Partei, außer vielleicht die NEOS, wählt ihre Kandidaten und Kandidatinnen so basisdemokratisch wie die Grünen. Der Prozess ist langwierig und teilweise auch mühsam, aber die Grünen zelebrieren ihn auch regelrecht: Zuerst melden Interessierte ihre Kandidatur für einen bestimmten Platz ein, dann präsentieren sie sich in einer kurzen Rede (in alphabetischer Reihenfolge), zum Schluss folgen noch Fragen aus dem Publikum. Bei beliebten Listenplätzen kann es da durchaus eng werden und Konsequenzen geben – als 2017 Peter Pilz nicht seinen gewünschten Listenplatz erhielt, verließ er später die Partei. Wer Stimmen erhalten möchte, muss also intern wahlkämpfen und beliebt sein.
Selbst Parteireformen, die mühsam und monatelang in Kleingruppen ausgearbeitet wurden, können dann von den Delegierten harsch abgewiesen werden: 2021 wurde eine Statutenreform des Parteichefs, Werner Kogler, überraschend abgelehnt. Vorgesehen war, dass die Mitglieder ihre Parteispitze direkt in einer Urabstimmung wählen.
Am Samstag, als der Bundeskongress in Graz tagte, um die Liste für die EU-Wahl zu fixieren, wurde der Wahlausgang erst ab Platz drei schwerer zu prognostizieren: Die Aktivistin Lena Schilling war ohnehin die einzige Bewerberin für die Spitzenkandidatur, und auch EU-Mandatar Thomas Waitz setze sich auf Platz zwei klar durch. Er ist immerhin der einzige von den drei jetzigen Abgeordneten, der auch in Brüssel bleiben möchte. Auf Platz drei sollte, um für Geschlechterparität zu sorgen, wieder eine Frau folgen. Der Bundesvorstand schlug die relativ unbekannte Ines Vukajlović aus Oberösterreich vor, zwei andere Bewerberinnen aus Wien kandidierten auch (erfolglos). Für Platz vier gab es wiederum vier neue Kandidaten – Michael Eschlböck, Präsident des American-Football-Verbandes, erhielt den Platz.
Da werben dann die Delegierten in den Kaffeepausen für die Kandidaten aus ihrem Bundesland, damit sie ihre Stimmen bekommen. Oder wenn dann eine Person den Platz bekommt, murmelt einer unzufrieden: "Na, der hat mich nicht überzeugt." Manchmal spielen auch ganz andere, taktische Überlegungen eine Rolle: Wenn der Bundesvorstand schon die Listenerste und dann auch noch Platz drei empfiehlt, ist man dann zu Obrigkeitshörig, wenn man diese Kandidatinnen wählt? Schon jetzt wird darüber spekuliert, wer bei der Nationalratswahl auf welchem Platz kandidieren könnte.
Ein Hinweis zur EU-Wahl noch, falls Sie in Österreich wohnen, aber die Staatsbürgerschaft eines anderen Unionslandes haben: Bei den Wahlen des EU-Parlaments können Sie sich aussuchen, ob Sie in Ihrem Herkunftsland oder in Österreich abstimmen. Es gibt allerdings eine Frist: Bis zum 26. März müssen Sie in der Europa-Wählerevidenz einer österreichischen Gemeinde eingetragen sein. Es bleibt also noch drei Monate Zeit.
Ganz sicher nicht wünscht sich Werner Kogler, er wäre ehemaliger ÖVP-Chef. Sebastian Kurz wurde am Freitag nicht rechtskräftig wegen Falschaussage zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. profil-Chefreporter Stefan Melichar hat den Prozess begleitet und die Anatomie eines Schuldspruchs skizziert, die ich Ihnen besonders ans Herz legen möchte.