Proteste anlässlich der Hauptversammlung der OMV im Mai 2002
Causa OMV-Sudan: „Berufstypisches Verhalten“ statt Kriegsverbrechen?
Es ist ein ganz dunkles Kapitel in der Historie eines der wichtigsten Unternehmen Österreichs: Von 1997 bis 2004 war der teilstaatliche Öl-Konzern OMV an einem Konsortium beteiligt, das im südlichen Sudan (im heutigen autonomen Staat Südsudan) nach Öl suchte und auch welches fand. In einem Land also, das seit Jahrzehnten von einem blutigen Bürgerkrieg geprägt war. Letztlich warf die OMV das Handtuch und verkaufte ihre Anteile. Falls die Verantwortlichen damals dachten, einen endgültigen Schlussstrich unter die leidige Angelegenheit gezogen zu haben, hatten sie sich jedoch gründlich geirrt.
2010 startete die schwedische Staatsanwaltschaft Erhebungen. Einer der Partner der OMV in dem Projekt war das schwedische Öl-Unternehmen Lundin, das auch als Konsortialführer agierte. Die Ermittler prüften jahrelang, ob Lundin-Verantwortliche damals im Sudan Mittäter bei Kriegsverbrechen gewesen sein könnten. 2021 wurde Anklage erhoben, und seit 2023 müssen sich tatsächlich zwei hochrangige Manager des schwedischen Unternehmens in einem nun schon jahrelang dauernden Prozess diesbezüglich vor Gericht verantworten.
Im Mai 2024 folgte dann in Österreich der rechtliche Paukenschlag: Die österreichische Menschenrechtsorganisation Cehri brachte gemeinsam mit der niederländischen Friedensinitiative Pax eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien ein. Gegen eine zweistellige Zahl früherer, teils hochrangiger Vertreter der OMV. Diesen wurde – zusammengefasst – vorgeworfen, zwischen 1999 und 2003 an Kriegsverbrechen im Sudan beteiligt gewesen zu sein, „insbesondere an der systematischen Tötung von Zivilisten und der Zerstörung von lebensnotwendigen Gütern“, wie es damals in einer Aussendung hieß. Doch nun stellt sich heraus: Im Unterschied zu den schwedischen Strafverfolgungsbehörden scheint die österreichische Justiz nicht vorzuhaben, der Angelegenheit weiter auf den Grund zu gehen.
Staatsanwaltschaft will Verfahren einstellen
Wie aktuell auch die Austria Presseagentur (APA) berichtet, hat sich die Staatsanwaltschaft Wien dazu entschieden, das Verfahren einzustellen. Dies erfolgte offenbar in Abstimmung mit ihren Oberbehörden – der Oberstaatsanwaltschaft Wien und dem Justizministerium. Im Juli 2025 wurden die Anzeiger darüber informiert. Die Prüfung der Anzeige hat also mehr als ein Jahr in Anspruch genommen. Soweit aus der 25-seitigen Einstellungsbegründung erkennbar ist, dürften in dieser Zeit allerdings keine eigenen, über die bereits vorliegenden Akten hinausreichenden Ermittlungsmaßnahmen wie etwa Einvernahmen gesetzt worden sein. Was schon erfolgt ist: eine rechtliche Auseinandersetzung mit der Thematik. Und deren Ergebnis ist alles andere als unumstritten.
Im Unterschied zur schwedischen Firma Lundin war die OMV seinerzeit zwar nicht Konsortialführer. Dennoch saßen auch OMV-Vertreter in Projekt-Gremien, in denen wichtige Entscheidungen zu treffen waren. Und immerhin hielt der österreichische Konzern einen Anteil von mehr als 25 Prozent am Konsortium – und hätte damit bei bestimmten Fragen auch eine Veto-Möglichkeit gehabt.
In der Anzeige wurde den damaligen OMV-Verantwortlichen vorgeworfen, an problematischen Entscheidungen mitgewirkt beziehungsweise ein Veto unterlassen zu haben. Dabei ging es insbesondere darum, dass das Konsortium die sudanesische Armee seinerzeit damit beauftragt hatte, für Sicherheit im riesigen Gebiet der Ölsuche zu sorgen. Der Vorwurf: Die Regierung hätte nach einem Friedensabkommen im Bürgerkrieg eigentlich nicht die Kontrolle über dieses Gebiet gehabt, sondern das Öl-Projekt genutzt, um ihren Einfluss wieder auszubauen. Und es ging um die Errichtung befestigter Straßen, die – so der Vorwurf – nicht nur für das Projekt, sondern auch für militärische Zwecke genutzt werden konnten.
Mit potenziell verheerenden Auswirkungen für die Zivilbevölkerung: Die schwedische Staatsanwaltschaft spricht in ihrer Anklage gegen die Lundin-Manager von systematischen Angriffen der Regierungstruppen und ihrer verbündeten Milizen auf Zivilsten: Bombardierungen aus Transportflugzeugen, Beschuss aus Helikoptern, Entführungen, Plünderungen, Niederbrennen von Dörfern. Als Konsequenz seien viele Zivilsten getötet, verletzt und vertrieben worden. Die Rede ist von Tausenden potenziellen Opfern. Lundin und die angeklagten Manager haben die Vorwürfe immer bestritten. profil rollte die Angelegenheit mit Blick auf die Rolle der OMV im Jahr 2022 im Rahmen einer umfangreichen Recherche auf, die später mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet wurde.
Staatsanwaltschaft sieht „berufstypisches Verhalten“
Wie ist nun die Rolle der damaligen OMV-Verantwortlichen rechtlich einzustufen? Vorneweg: Alle Betroffenen haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Die OMV erklärte in der Vergangenheit, selbst nicht Betreiber des Konsortiums gewesen zu sein und daher keine eigenen Mitarbeiter vor Ort gehabt zu haben. „Investitionen, auch in Entwicklungsländern wie dem Sudan“ hätten „ein hohes Maß an sozialer Verantwortung“ erfordert. Man habe zudem „einige humanitäre Projekte“ unterstützt. Rechtlich belangt werden kann die OMV selbst wohl ohnehin nicht. Das sogenannte Verbandsverantwortlichkeitsgesetz, das auch ein strafrechtliches Vorgehen gegen ein Unternehmen ermöglichen würde, gibt es erst seit 2006.
Sehr wohl belangt werden könnten aber damalige Manager. Doch die Staatsanwaltschaft Wien gelangt in ihrer Einstellungsbegründung zu einer bemerkenswerten Einschätzung: Die Verantwortlichen hätten in Bezug auf die umstrittenen Entscheidungen nämlich lediglich ein „berufstypisches Verhalten“ im Interesse der OMV verfolgt. Ein Zusammenhang zwischen der Beauftragung der sudanesischen Armee und den der Armee vorgeworfenen Taten sei „nicht zwingend“. Schließlich habe im Sudan ohnehin Bürgerkrieg geherrscht. Sinngemäß heißt es weiter, dass aus früheren Völkerrechtsverbrechen durch die sudanesische Regierung nicht auf allfällige künftige Straftaten an der Zivilbevölkerung zu schließen gewesen wäre. Den Entscheidungsträgern seien als Informationsquelle „nur“ unternehmensinterne Berichte sowie Berichte von NGOs zur Verfügung gestanden. Das Konsortium habe lediglich das Vorhaben der sudanesischen Regierung genehmigt, für ausreichend Sicherheit für die Erdölsuche und -förderung zu sorgen, meint die Staatsanwaltschaft Wien: „Dass damit die Ermordung vieler dort lebender Menschen durch die sudanesische Regierung unter Anwendung von Mitteln der Kriegsführung einherginge“, sei „nicht Gegenstand der Vereinbarung“ gewesen.
Im Vertrag stand natürlich nicht, dass Zivilisten ermordet werden sollten. Aber hätte man das nicht wissen müssen? Und könnte den OMV-Verantwortlichen mit Blick auf die Lage vor Ort nicht unter Umständen auch eine Unterlassung vorgeworfen werden? Auch Letzteres glaubt die Staatsanwaltschaft nicht. Aus ihrer Sicht zählt, wenn beides miteinander verquickt ist, die aktive Handlung – die Genehmigung der Sitzungsprotokolle – und nicht die passive Nicht-Ausübung des Veto-Rechts. In dem Fall wäre dann auch nur die aktive Handlung zu überprüfen, argumentiert die Anklagebehörde.
Ölförderung war laut Justiz kein Risiko
Das könnte insofern relevant für die Beurteilung sein, als eine allfällige Unterlassung andere rechtliche Voraussetzungen hat, als eine aktive Beitragshandlung. Bei der Unterlassung geht es grundsätzlich darum, dass jemand, in dessen Zuständigkeit eine Gefahrenquelle fällt, dazu verpflichtet ist, diese entsprechend zu kontrollieren und eine Beeinträchtigung daraus zu verhindern. Dieser Aspekt wurde jedoch überhaupt nur in Bezug auf einen der Teilvorwürfe näher geprüft – nämlich, dass die OMV-Manager nach einem kritischen Hinweis einer NGO Anfang 2001 die Beteiligung am Öl-Projekt im Sudan nicht beendeten. Eine Unterlassung ortet die Staatsanwaltschaft jedoch auch hier nicht – mit einer durchaus bemerkenswerten Begründung: Das Risiko für die Zivilbevölkerung sei der anhaltende Bürgerkrieg gewesen und nicht die Ölförderung.
Das ist insofern überraschend, als die OMV seinerzeit eine Risiko- und Strategieberatungsfirma damit beauftragte, die Lage vor Ort zu erkunden. Diese legte dem teilstaatlichen Konzern 2002 einen Bericht mit der zentralen Erkenntnis vor, dass die Existenz des Öls im Sudan den Bürgerkrieg verkompliziert und verschärft habe. Ohne Öl gäbe es viel weniger, worum man kämpfen könnte, hielten die Berater in ihrem Bericht fest. Das Gebiet der Ölsuche sei die Frontlinie in diesem Konflikt. Zivilisten („non-combatants“) hätten massiv zu leiden gehabt. Soweit bekannt, dürfte dieser heikle Bericht seinerzeit bei der OMV unter Verschluss geblieben sein. profil machte ihn erstmals 2022 öffentlich.
Drastischer Vergleich mit Eichmann-Urteil
Ist mit der Einschätzung der Staatsanwaltschaft Wien sowie ihrer Oberbehörden das letzte Wort in der Angelegenheit gesprochen? Nicht unbedingt. Die Anzeiger Cehri und Pax haben einen Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens eingebracht. Darüber muss nun das Landesgericht Wien entscheiden. Ein zentraler Punkt im Fortführungsantrag betrifft die Auswirkungen des Öl-Projekts und der diesbezüglichen Entscheidungen: Vor Beginn der Erdölsuche habe in der spezifischen Region im Sudan nämlich noch kein Bürgerkrieg geherrscht, wird argumentiert.
Rechtlich wird wiederum ausgeführt, dass das Argument des „berufstypischen Verhaltens“ vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Maßstäbe nicht gelte. „Die persönliche Verantwortlichkeit für Völkerverbrechen übersteigt jede interne Anweisung, jede Firmenpolitik und jeden angeblichen wirtschaftlichen Vorteil, da sie auf universellen moralischen Prinzipien und der unteilbaren Würde des Menschen beruht“, heißt es im Fortführungsantrag. Die NGOs bringen einen drastischen Vergleich: Folge man „der Argumentationslinie der Staatsanwaltschaft, hätte Adolf Eichmann, der zentrale Koordinator der Deportations- und Vernichtungsmaschinerie im Holocaust, nicht verurteilt werden dürfen“.
Rechtsexperte: Öl-Suche hätte unverzüglich gestoppt werden müssen
Darüber hinaus wird argumentiert, dass sehr wohl auch eine potenzielle Unterlassung zu prüfen sei, sofern keine strafbare aktive Handlung vorliege. Die Anzeiger haben eine Stellungnahme eines renommierten Strafrechtsexperten eingeholt. Dieser schreibt, was das Thema Unterlassung betrifft: Ein „gefahrbegründendes Vorverhalten“ liege im gegebenen Fall „in typischer, geradezu lehrbuchhafter Form“ vor. „Nach der Wahrnehmung der erneuten kriegerischen Auseinandersetzungen hätte sofort die Suche nach Erdöl unverzüglich gestoppt und die angespannte Lage mit der Regierung analysiert werden müssen. Das Ignorieren der Umstände begründet ein spezifisch rechtswidriges Vorgehen.“
Der Rechtsexperte ist übrigens Mitherausgeber eines Strafrechts-Kommentars, auf den die Staatsanwaltschaft Wien in ihrer Einstellungsbegründung mehrfach verwiesen hat. Nun wird man sehen, wie das Gericht entscheidet. Und ob die Akte OMV-Sudan, die profil 2022 ans Tageslicht brachte, doch noch ein rechtliches Nachspiel haben wird.