Morgenpost

Das Schweigen des Weichtiers

Ein Morgen ohne Doskozil, Putin und Riesenzecken? Wir alle brauchen Nachrichten, nicht wahr?

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Es war die Zeit, als das Hören von Ö1 noch gewisse Mühsal bereitete. In der Ära des Analogen, die von heute aus gesehen wie das Mittelneolithikum der Kommunikation wirkt, stellten sich drängende Fragen: Fällt vielleicht der Strom aus? Verirren sich die Funkwellen zwischen Schlechtwetter und Wettersatellit? Der ideale Ö1-Hörer gleicht einem schildkrötenhaft unbewegten Menschen vor einem Radioapparat.

Gestern, Mittwochmorgen, war Kurzzeitsendepause auf Ö1, dem besten Radiosender der Welt. Die Rundfunkanstalt, die seit 1990 annäherungsweise rund um die Uhr sendet, machte es ihrem Publikum gestern schwer: „Aufgrund eines technischen Gebrechens gab es von ca. 6:00 bis 7:15 Uhr einen Sendeausfall. Wir bedauern die Störung“, war auf der Ö1-Website zu lesen. Statt der ersten Beiträge des „Morgenjournals“ um sieben Uhr wurde Klassik gespielt, um 7:19 Uhr gab Ö1 die Behebung der Probleme bekannt.

Vergessen jener Notfall, als einer Gesprächspartnerin dereinst kein Ton zu entlocken war. Die Radiomacher, ausgerüstet mit hochempfindlichen Mikrofonen und professionellen Aufnahmegeräten, hatten einen schweißtreibenden Aufstieg auf 2000 Meter Seehöhe in Kauf genommen, doch Cylindrus obtusus, die Zylinderfelsenschnecke, zeigte sich nicht. Das Schweigen des Weichtiers bedeutete den Ernstfall, denn das Sendeprinzip der Ö1-Minatur „Vom Leben der Natur“ lautet: Jeweils eine Woche lang, von Montag bis Freitag, von 8:55 bis 9 Uhr, ist in der Wald-und-Wiesen-Sound-Collage eine Forscher- oder Forscherinnenstimme vernehmbar, die in verdichteter Form Wissenswertes, Abseitiges, Abstruses aus Fauna und Flora zu berichten weiß. Im Hintergrund, als kreatürliches Stimmengewitter, röhrt, gurrt, muht, miaut, bellt, schnarrt es dazu. Nur die Zylinderfelsenschnecke verweigerte beharrlich das Gespräch.

Ö1 liefert Tag für Tag ziemlich viel Welt ins Wohnzimmer. Gestern dagegen: Schweigen im Nachrichtenwalde. Keine Nachrichten von Demonstrationen, Polizeigroßaufgebot und Verkehrschaos bei der Europäischen Gaskonferenz in Wien. Keine Schlagzeile: „Riesenzecke in Vorarlberg entdeckt“.

No Doskozil, Rendi-Wagner, Andreas Babler. Stillstand bei der SPÖ-Reise nach Jerusalem. Null Berichterstattung über jenen Mindestpensionisten, der sich am goldenen Bösendorfer im Wiener Parlament festklebte und mit seinem Aktionismus nebenher das Wort „Armutskleber“ in die Welt brachte. Ein Morgen dazu, an dem man Herrn Putin endlich auf Hofrundgang in sibirischer Einöde wähnen konnte, wohin er auch gehört.

Der vorübergehende Netzausfall ließ Nachdenklichkeit und die leicht adaptierte Weisheit des deutschen Liedermachers Konstatin Wecker zurück: „I brauch koan Alkohol, I brauch koan Rock’n’Roll, I brauch meine News, jawohl.“ Nachrichten, jawohl, sind das, was wir brauchen! Jeden Tag auf profil.at und auf Ö1.

Einen nachrichtenstarken Donnerstag wünscht

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.