Das türkise Geilomobil in Einzelteilen
Manchmal muss man über den eigenen Schatten springen und etwas Neues wagen: Die ÖVP kann sich nun, spät, aber doch, für einen Mietpreis-Deckel begeistern. Dafür werden erst einmal auch die Autobahn-Vignetten nicht teurer. Das passt zur türkisen Auto-Partei, immerhin posierte schon der Umfärber der Volkspartei, Sebastian Kurz, in einem seiner ersten öffentlichen Auftritte auf einem (damals noch schwarzen) Hummer. Das „Geilomobil“ schaffte tatsächlich Aufmerksamkeit – und spielt in einem neuen Dokumentarfilm über den Ex-Kanzler eine tragende Rolle.
Ob er vor dem U-Ausschuss gelogen hat, muss ab 18. Oktober ein Gericht entscheiden, die WKStA nimmt zusätzlich immer neue Umfrage-Konstrukte unter die Lupe. Erst gestern wurde bekannt, dass darunter auch jene Studie sein sollen, in der Kurz noch als Außenminister 2016 seine Beliebtheitswerte abfragen ließ. Besonders treue und aufmerksame profil-Leser:innen könnte das bekannt vorkommen: profil hatte bereits 2017 über die geheimen Umfragen berichtet.
Politisch wurde über den Ex-Kanzler bereits mehrfach geurteilt: Nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos verwehrte der Nationalrat der rein türkisen Übergangsregierung das Vertrauen, nach den Hausdurchsuchungen in Kanzleramt, Finanzministerium und ÖVP-Zentrale aufgrund des Verdachts gekaufter Berichterstattung auf Steuerzahlerkosten sah auch der grüne Koalitionspartner den jungen Kanzler als nicht mehr tragfähig an. Regisseur Kurt Langbein (zuletzt: Der Bauer und der Bobo) bringt den steilen Aufstieg und Fall des türkisen Sternes am 21. September als Dokumentation in Spielfilmlänge in die heimischen Kinos.
Schwarze Löcher
„Projekt Ballhausplatz“ beginnt bei Kurz‘ politischen Anfängen: Das „Geilomobil“ wird in Folge des Filmes in seine Einzelteile zerlegt. Eine direkte Anspielung auf die Dekonstruktion der Kurz’schen Politik, die Langbein auf 100 Minuten ausbreitet. Kurz‘ Schaffen wird dabei durchgehend von politischen Kritikern wie Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus, dem Wiener Gemeinderatsabgeordnete Peter Baxant oder Ex-Kurier-Chefredakteur und Neos-Abgeordneter Helmuth Brandstätter kommentiert. Aus der ÖVP spenden parteiinterne Gegner wie Franz Fischler oder Ferry Maier Worte, von außen dürfen Falter-Redakteurin Barbara Tóth oder Migrationsexperte Gerald Knaus erklären, wie und warum Kurz politische Fehler beging. Dem Ex-Kanzler positiv gestimmte Stimmen fehlen.
Das ist nicht allein die Schuld des Regisseurs: Zum Ende der hundert Minuten ist eine lange Reihe an Absagen zu lesen. Neben Kurz selbst stand offenbar die gesamte erste Reihe der Volkspartei nicht für ein Gespräch zur Verfügung. Auch ehemalige Fans des österreichischen Kanzlers wie der deutsche „Bild“-Journalist und Kurz-Biograf Paul Ronzheimer oder der politische Ziehvater des türkisenen Shootingstars, Ex-ÖVP-Chef Michael Spindelegger sagten Langbein ab. Für ein runderes Bild des Schaffens fehlen aber auch Gespräche mit seinem jetzigen, grünen, Koalitionspartner sowie die gesamte Corona-Politik, die Kurz in Umfragen zunächst in lichte Höhen katapultierte – und mit Fortsetzung der Pandemie stetig weitere Kritik einbrachte.
Krieg der Welten
„Projekt Ballhausplatz“ bleibt damit eine detaillierte, aber wenig objektive Auseinandersetzung mit der politischen Person Kurz. Außer einem Interview, in dem der frühere ORF-Moderator Paul Tesarek eine direkte Drohung des Ex-Kanzlers nach einem kritischen Interview („Wollen Sie einen offenen Krieg mit uns?“) beschreibt, bietet die chronologische Auflistung der Ära Kurz für genaue Beobachter der österreichischen Innenpolitik wenig Neues. In ihrer Dichte ist sie aber durchaus beeindruckend. Positiv sticht die Musik hervor: Ganz im Sinne des Dekonstruktions-Gedankens spielten Musikerinnen und Musikern aus dem Balkan österreichische Volkslieder nach.
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Einen Tag voller bunter Abenteuer statt zerlegten Autos wünscht
Max Miller