Dem Ende nah: Turbulenzen und Apokalypsen bei den Salzburger Festspielen
Salzburger Endspiele sollen es diesmal sein; festlich war gestern, der Untergang ist nah. Apokalyptische Töne schlägt der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, mit seinem nächstjährigen Programm an und zitiert in den einleitenden Worten gleich „Endspiel“-Meister Samuel Beckett: „Ich werde in den Tod geboren“, heißt es in Becketts nachtschwarzem Roman „Malone stirbt“ (1951).
Es bleibt ein wenig rätselhaft, warum sich das dreiköpfige Direktorium der Festspiele (neben Hinterhäuser: Geschäftsführer Lukas Crepaz und Präsidentin Kristina Hammer) vergangene Woche, in Absprache mit dem Kuratorium, dazu entschlossen hat, den Vertrag mit der Schauspielchefin des Festivals, Marina Davydova mit sofortiger Wirkung aufzukündigen – fünf Tage vor Bekanntgabe des Festspielprogramms 2025. Die gestrige Pressekonferenz wurde also naturgemäß überschattet von den Querelen rund um Davydova, die kurz zuvor noch angekündigt hatte, ihre „rechtswidrige“ Entlassung nach nur einer Spielzeit juristisch anfechten zu wollen.
Das tatsächlich nicht sehr diplomatische Verhalten Davydovas – sie arbeitete, offenbar ohne dies abzusprechen, bei einem kleinen Berliner Performance-Festival namens „Voices“ federführend, allerdings nur ehrenamtlich mit, und sie betonte noch einen Tag vor ihrer Entlassung auf Facebook, wie langweilig die Meetings seien, die sie in Salzburg zu absolvieren habe – hätte in den meisten anderen Kulturbetrieben wohl eher eine Verwarnung als eine Entlassung nach sich gezogen. Doch Hinterhäuser, Crepaz und Hammer wählten lieber die Eskalation: Vertragsbruch, Verstöße gegen Dienstpflichten, unzulässige Vermischung von Dienst- und Privatreisen – all dies wird Davydova nun festspielseitig zur Last gelegt.
Frostige Verhältnisse
Auch wenn Hinterhäuser im profil-Gespräch am vergangenen Donnerstag vehement bestritten hat, dass es zusätzliche weitere Gründe für die Entlassung Davydovas gegeben habe: Der Verdacht, man habe Davydova loswerden wollen, liegt – so sagen festspielnahe Beobachter – nahe. Man habe einen Vorwand gesucht, sie hat ihn geliefert.
Hinterhäuser hält gegenüber profil fest, dass man sich an einen Vertrag gefälligst zu halten habe, alles andere – etwa die Qualität ihrer Arbeit – sei in diesem Zusammenhang irrelevant. Es schmerze ihn sehr, Davydova gehen zu sehen, er habe sie überaus geschätzt, sie ja auch immer wieder, schon bei den Wiener Festwochen, an seine Seite geholt. So innig dürfte das Verhältnis zu ihr letzthin aber nicht mehr gewesen sein, wie auch das Zusammenspiel des Intendanten mit seiner Präsidentin, Kristina Hammer, frostig sein soll.
Die Präsentation der Programmpunkte der zwischen 18. Juli und 31. August 2025 stattfindenden Salzburger Festspiele geriet angesichts der Destabilisierung im Kernteam (mit Axel Hiller wird man ab Mai 2025 zudem einen neuen Konzertchef haben, der den zu den Münchner Philharmonikern wechselnden Florian Wiegand ersetzen muss) fast zu einem Nebenereignis: Eröffnet wird mit Händels „Giulio Cesare in Egitto“, als Regisseur soll Dmitri Tschernjakow debütieren.
Erwartung & Abschied
Man wolle „Extrempunkte des menschlichen Daseins“ beleuchten, so Hinterhäuser, vor allem mit Peter Eötvös’ Tschechow-Oper „Drei Schwestern“ und dem vielleicht interessantesten Konzept der Festspiele 2025 – mit einem von Peter Sellars inszenierten Double Feature aus Schönbergs einaktigem Monodram „Erwartung“ und „Abschied“, dem 6. Satz aus Gustav Mahlers Liederzyklus „Das Lied von der Erde“.
Heiterer wird es wohl mit Barrie Koskys (von den Pfingstfestspielen übernommener) Vivaldi-Melange „Hotel Metamorphosis“ werden. Eine Wiederaufnahme von Krzysztof Warlikowskis 2022er-Inszenierung von Verdis „Macbeth“ mit Asmik Grigorian als Lady Macbeth steht ebenso am Plan wie eine von dem umstrittenen Teodor Currentzis dirigierte konzertante Aufführung von Rameaus „Castor et Pollux“. Im Konzertprogramm zollt man dem großen Dirigenten und Komponisten Pierre Boulez sowie Dmitri Schostakowitsch Tribut. In der „Ouverture spirituelle“, dem Vorspiel zum Konzertprogramm, wird unter anderem „Das Floß der Medusa“ von Hans Werner Henze erklingen, Filmstar Christoph Waltz hat sich bereit erklärt, das Strawinsky-Oratorium „Oedipus Rex“ stimmlich zu bereichern.
Marina Davydova wird den kommenden Sommer wohl nicht in Salzburg verbringen, das von ihr erarbeitete Programm nicht persönlich erleben. Interessanterweise soll ihr Stück „Land of No Return“ im Rahmen der Festspiele in einer Lesung erstmals auf Deutsch zu hören sein – jenes Drama, das kürzlich bei dem von ihr mitverantworteten „Voices“-Festival in Berlin auf Russisch gelesen wurde. Daran will Hinterhäuser ebenso festhalten wie an Davydovas Schauspielprogramm: „Der Schneesturm“, Vladimir Sorokin Roman, wird von Regisseur Kirill Serebrennikov bearbeitet und „Four New Works“ der legendären US-Choreografin Lucinda Childs gezeigt werden, der übrigens einzigen Regisseurin der kommenden Festspiele. Und natürlich, wenn man schon von Endspielen spricht, darf Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ nicht fehlen, auf die Beine gestellt in Koproduktion mit dem Burgtheater, mit Michael Maertens und Dörte Lyssewski. Regie: Dušan David Pařízek.
Wie persönlich Markus Hinterhäuser alle Festspielentscheidungen zu nehmen scheint, zeigt auch seine erste Konsequenz der so jähen Abberufung Davydovas: Er will nun auch den Schauspielbereich, ohne Ausschreibung, im Alleingang nachbesetzen.