Der Ausspäher: Jan Marsalek und sein Österreich-Netzwerk
Lange wurde darüber spekuliert, nun spricht es ein Bericht des „Wall Street Journals“ offen aus: Der Österreicher Jan Marsalek soll laut dem US-Blatt seit einem Jahrzehnt für Moskau spioniert haben. Sein offizieller Job als Vorstand des deutschen Finanzdienstleisters Wirecard dürfte mehr als eine gute Tarnung gewesen sein: Bevor der Konzern im Sommer 2020 infolge eines Skandals zusammenbrach, soll Marsalek den Zahlungsabwickler auch für geheimdienstliche Aktivitäten genutzt haben – davon gehen zumindest Sicherheitsbeamte aus, auf die sich das „Wall Street Journal“ beruft.
Wirecard als Vehikel
Mit seinem Vehikel Wirecard dürfte Marsalek gleich von doppeltem Nutzen für Moskau gewesen sein: Denn zu den Wirecard-Kunden zählten auch deutsche Sicherheitsbehörden wie der Bundesnachrichtendienst. Die gesammelten Informationen könnten nach Russland abgeflossen sein, womit den russischen Diensten Standorte und Aktivitäten deutscher Geheimagenten zur Verfügung gestanden wären. Gleichzeitig soll Marsalek den Zahlungsabwickler auch dem russischen Militärgeheimdienst und dem Auslandsgeheimdienst zur Verfügung gestellt haben – zur Bezahlung russischer Spione, von Waffen und bei Operationen im Nahen Osten und Afrika.
Unklar ist, inwieweit auch österreichische Behörden auf die Dienste Wirecards setzten. Überraschend wäre es nicht: Zumindest mit der Post AG hatte der Zahlungsdienstleister ein gemeinsames Projekt am Laufen.
Befragen kann man Marsalek dazu kaum mehr: Seit seiner filmreifen Flucht im Sommer 2020, als er sich mittels Privatjet nach Belarus und mit dem Auto weiter nach Russland absetzte, steht der 43-jährige Justizflüchtige auf internationalen Fahndungslisten ganz oben. Damals zeichnete sich der Kollaps von Wirecard bereits ab, weil 1,9 Milliarden Euro angeblicher Erlöse nicht auffindbar waren – aus einer Sparte, für die Marsalek zuständig war. Aktuell wird sein Aufenthaltsort in Dubai vermutet. Von dort aus soll er bereits wieder hoch aktiv sein – und angeblich an der Neuaufstellung der Söldnergruppe Wagner in Afrika werken.
Das Österreich-Netzwerk
Durch den „Wall Street Journal“-Bericht rücken jedenfalls Marsaleks frühere Kontakte in Österreich wieder in den Fokus. Der begnadete Netzwerker verstand es offenbar blendend, Menschen für seine Zwecke zu gewinnen. Er knüpfte Kontakte zu Verfassungsschützern und war in der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft aktiv. In dieser Funktion nahm er im Jahr 2017 auch an einem Empfang für den damaligen Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) in der österreichischen Botschaft in Moskau teil – und ergatterte ausgerechnet den Sitzplatz neben dem heutigen Nationalratspräsidenten. Das sechs Jahre alte Foto geistert derzeit wieder öfter durch die sozialen Netzwerke.
Dabei dürfte Marsalek zu einer anderen Partei viel bessere Kontakte gehabt haben: Zur FPÖ. Ein Ex-Politiker der Partei soll bei Marsaleks Flucht mitgeholfen haben. Und Chatnachrichten, die vor zwei Jahren öffentlich wurden, legen nahe, dass Marsalek freiheitliche Politiker mit Informationen aus dem Inneren der Sicherheitsbehörden fütterte.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Freiheitlichen die Nähe Russlands suchten – im Falle Marsaleks aber vielleicht, ohne es zu wissen.