Der heikle Entführungsfall der Eva G.
Die Liebe zu den Wüstenlandschaften Nord- und Westafrikas, zur dortigen Kultur und vor allem auch zu den Bewohnerinnen und Bewohnern hat die Österreicherin Eva Gretzmacher, 73, in der Stadt Agadez, im Norden des Staates Niger, sesshaft werden lassen. In einer Reportage des „Kurier“ vor sieben Jahren erzählte die gebürtige Wienerin, wie sie erst mit ihrem Ehemann, einem Bauingenieur in Algerien gelebt hatte, und schließlich 1995 nach Agadez zog.
Hier betrieb sie mittlerweile jahrzehntelang Projekte, um Frauen die Schneiderei erlernen zu lassen, und sie organisierte Freizeitprojekte für Jugendliche.
Vergangenen Samstagabend gegen 19.30 Uhr Ortszeit wurde Gretzmacher Opfer einer Entführung. Unbekannte zwangen den Wächter ihres Hauses mit vorgehaltener Pistole, ihnen die Pforte zu öffnen. Gretzmacher musste tun, was die Männer verlangten und in einen Wagen vom Typ Toyota Land Cruiser V6 steigen. Die Bande verschwand unerkannt.
Am Montag trat laut einer Meldung der nigerischen Nachrichtenagentur ANP der Regionale Sicherheitsrat von Agadez zusammen, um die Lage zu besprechen. „Bedeutende, zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen“ seien seit dem Vorfall eingeleitet worden, heißt es, die Bevölkerung werde aufgefordert, verdächtige Personen zu melden. Informationen über die Täter oder die Gruppe, der sie angehören könnten, werden nicht genannt. Bisher habe sich niemand zu der mutmaßlichen Geiselnahme bekannt, berichtet die regionale Zeitung „Air Info“.
Im österreichischen Außenministerium in Wien wurde ein Krisenstab eingerichtet. Alle kompetenten Stellen in der Region wurden kontaktiert, darunter auch der Gouverneur von Agadez. Ein Unterstützungsersuchen erging an das Außenministerium in Niger. Zudem sei eine Vertreterin der österreichischen Botschaft in Algerien auf dem Weg nach Niger, informierte das Außenamt gestern Nachmittag in einer Aussendung.
Jede Geiselnahme stellt einen Krisenfall dar, doch die Entführung von Gretzmacher ereignet sich zudem noch in einem politisch besonders heiklen Umfeld.
Niger wird seit einem Militärputsch unter Führung von General Abdourahamane Tiani im Juli 2023 von einer Militärjunta regiert. Deren Politik wendet sich stark gegen den Westen, für den Niger lange Zeit der engste Verbündete in der Region war. Französische und auch US-Soldaten wurden aus dem Land geworfen, das neue Regime nähert sich stattdessen Russland und der Türkei an.
Das Regime reagiert empfindlich auf Nachrichten über dschihadistische Umtriebe in seinem Land. Als die BBC vergangenen Dezember über Anschläge von Dschihadisten berichtete, bei denen 91 Soldaten und fast 50 Zivilisten ums Leben gekommen seien, wurde dem Nachrichtensender die Ausstrahlung seiner Programme kurzerhand verboten.
Über Eva Gretzmacher schreiben örtliche Medien nur das Beste. Sie sei „integriert in die lokale Gemeinschaft, wo sie wegen ihres Engagements in verschiedenen Sozialprojekten respektiert werde“ und gelte als „symbolträchtige Figur der Region“.
In der Vergangenheit war das Motiv solcher Geiselnahmen in Niger immer Geldforderungen. Die Täter dürften sich somit wohl bald melden. Dann beginnt die schwierige Phase der Verhandlungen. In manchen Fällen dauerte dies Monate oder sogar Jahre.