Der Justiz droht Kanzler Kickl – und der nächste „stille Tod“
„Die Justiz stirbt einen stillen Tod“, warnte Clemens Jabloner, Justizminister der Expertenregierung, im Jahr 2019, wenige Monate nach dem Ende der türkis-blauen Koalition. Jabloners Nachfolgerin, die grüne Justizministerin Alma Zadić wollte eine Trendwende einleiten. Unter ihrer Amtszeit erhielt die Justiz mehr Geld und Personal.
Nur: Es reicht nicht.
Das kommende profil beleuchtet, wie sich FPÖ-Chef Herbert Kickl über das Gesetz stellen will. Klar ist: Wird Kickl Österreichs erster blauer Kanzler, trifft er auf eine Justiz, die gegen ihn selbst ermittelt, bei der seine Partei einen „tiefen ÖVP-Staat“ herbeiphantasiert – und die personell am Limit ist.
Gerichtliche Sechs-Tage-Woche
„Die Justiz stand in den letzten Jahren nicht ausreichend im Fokus der politischen Machthaber. Wir haben über Jahre hinweg nicht die Ressourcen bekommen, die wir brauchen, um unseren Auftrag entsprechend erfüllen zu können“, sagt Gernot Kanduth, Präsident der Richter-Vereinigung. Die Trendwende unter Zadić würde nicht ausreichen: „Als Ex-Justizminister Jabloner 2019 vom ‚stillen Tod der Justiz‘ sprach, fehlten 84 Planstellen an den Landes- und Bezirksgerichten. Jetzt fehlen 168.“
Dazu seien zuletzt einige Gesetze beschlossen worden, die mehr Arbeit an den Gerichten auslösen, etwa weil Richterinnen und Richter nun auch die Sicherstellung von Datenträgern wie Handys bewilligen müssen. Das Gesetz ist seit Anfang des Jahres in Kraft, die dafür nötigen zusätzlichen Richterplanstellen fehlen aber weiter.
Um das zu kompensieren, müsste jeder Richter und jede Richterin sechs Tage pro Woche arbeiten.
„Unter Berücksichtigung der eingeführten zusätzlichen Aufgaben fehlen an den Bezirks- und Landesgerichten insgesamt rund 200 Planstellen – bei rund 1500 Richterinnen und Richtern derzeit“, sagt Kanduth: „Die Bezirks- und Landesgerichte sind also zu fast 115 Prozent ausgelastet. Um das zu kompensieren, müsste jeder Richter und jede Richterin sechs Tage pro Woche arbeiten.“ Die Folge: Die Verfahren dauern länger. „Die entstehenden Verzögerungsschäden sind volkswirtschaftlich bedeutend“, sagt Kanduth: „Jedes Wirtschaftsunternehmen, das eine Entscheidung treffen will, braucht dafür Rechtsklarheit. Dauern die Verfahren vor Gericht länger, schadet das dem Wirtschaftsstandort.“
Auf Dauer sehe ich die effektive Strafverfolgung gefährdet.
Auch die Staatsanwaltschaften ächzen unter den zuletzt beschlossenen neuen Aufgaben: „Auf Dauer sehe ich die effektive Strafverfolgung gefährdet“, sagt Elena Haslinger, Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung: „Die Staatsanwaltschaften bekommen immer mehr Aufgaben, aber nicht im selben Ausmaß mehr Personal.“ Seit den Änderungen der Handysicherstellung haben Beschuldigte umfangreiche neue Rechte, wie Einsichts- und Löschrechte in die Datenauswertungen und das Recht, Auswertungen nach zusätzlichen Suchparametern zu beantragen. Auch das müssen die Staatsanwaltschaften machen, das benötigte zusätzliche Personal gab es bisher aber nicht. „Das gesamte Gesetz dient laut seinen Erläuterungen der Verfahrensbeschleunigung“, sagt Haslinger: „Aus unserer Sicht findet sich aber keine einzige Bestimmung darin, die die Arbeit der Staatsanwaltschaften beschleunigen oder erleichtern würde.“
Zumindest 28 zusätzliche Planstellen bräuchte es in den Staatsanwaltschaften, um den Mehraufwand der letzten Reformen abzufangen, sagt Haslinger. Die Richtervereinigung wünscht sich noch heuer ein deutliches Plus an Planstellen für Richterinnen und Richter, die. Für beispielsweise 50 neue Planstellen rechnet die Vereinigung mit rund sieben Millionen Euro an Mehrkosten, die 200 Stellen im Endausbau würden rund 28 Millionen kosten. „Das müsste sich ein Rechtsstaat leisten“, findet Kanduth. Zum Vergleich: Der zuletzt beschlossene Verteidigerkostenersatz ist mit 70 Millionen Euro pro Jahr budgetiert.
Derzeit wird das Budget des Vorjahres nur fortgeschrieben, neue Planstellen gibt es daher erst mit einer neuen Regierung. Das Justizministerium würde „den weiteren Ausbau von Planstellen, wie er in den letzten fünf Jahren von Justizministerin Alma Zadić kontinuierlich vorangetrieben wurde“ befürworten, das liege aber an den Verhandlerinnen und Verhandlern von FPÖ und ÖVP. Die beiden Parteien meldeten nach Brüssel zuletzt Sparpläne: Wie in jedem Ressort soll auch die Justiz 15 Prozent ihrer Sachkosten einsparen. Tatsächlich dürften die blau-schwarzen Pläne aber eher Mehrkosten verursachen: Setzen FPÖ und ÖVP ihre Wahlversprechen wie das Herabsetzen der Strafmündigkeit um, kommt auf die Justiz noch deutlich mehr Arbeit zu.