Morgenpost

Der Retro-Charme der „GroKo“

Vor sechs Jahren endete die letzte SPÖ-ÖVP-Regierung. Die Allianz für eine Neuauflage der „Großen Koalition“, vulgo „GroKo“, ist schon jetzt erstaunlich breit.

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Der Tiroler SPÖ-Chef und Landeshauptmann-Stellvertreter, Georg Dornauer, hat ein sehr spezielles Verständnis von „Avantgarde“. Nicht nur in Sachen Liebe (Beziehung zu italienischer Abgeordneten aus postfaschistischer Partei) oder Verkehr (von seinem Porsche Macan trennte er sich mittlerweile wieder). Für ihn ist auch eine Regierung aus SPÖ und ÖVP „Avantgarde“. Entsprechend wünscht er sich nach Tirol auch eine Große Koalition im Bund. Gewählt wird im Herbst. Doch Dornauer geriert sich schon jetzt als Wegbereiter. So verteidigte er am Montag den laut APA-Index aktuell unbeliebtesten Spitzenpolitiker, Wolfgang Sobotka (ÖVP): „Dem Nationalratspräsidenten wird im demokratischen Gefüge eine ganz besondere Rolle zuteil. Dieser Verantwortung ist sich Sobotka durchaus bewusst." So bestärkt wurde Sobotka selbst durch eigene Parteikollegen schon länger nicht mehr.

„Noch spannender als die eigentliche Wahl“

Die Große Koalition regierte Österreich über 44 Jahre, zunächst unter schwarzen, dann unter roten Bundeskanzlern. Erst stabilisierte, dann paralysierte sie das Land. Wie sehr die Menschen noch immer genug von ihr haben, zeigt sich an ihren Umfragewerten. Nur zwölf Prozent wünschen sich aktuell eine SPÖ-ÖVP-Regierung zurück. Unbeliebter wäre nur eine FPÖ/SPÖ-Regierung.

Warum ihr dann überhaupt eine Morgenpost widmen? Weil die FPÖ unter Herbert Kickl stabil in Umfragen führt und die Regierungsbildung nach der Wahl „noch spannender werden könnte als die eigentliche Wahl“, wie Iris Bonavida und Moritz Ablinger in ihrer Tiefenanalyse des blauen Höhenflugs schreiben. Mit Kickl geloben weder ÖVP noch SPÖ eine Regierung zu bilden. Deswegen wollen beide Parteien für Alternativen gerüstet sein. Auf Landesebene verströmen sie selbst dort GroKo-Duft, wo die Luft für beide dünn geworden ist. Zum Beispiel im Drau-Tal von Kärnten bis Osttirol. Eine dieser ländlichen Regionen, in denen „ÖVP-Hochburgen bröckeln" und die FPÖ laut Analyse der Kolleg:innen „als Nachlassverwalter“ abräumt.

Drau-Achse bis Stern des Südens

Mitte Dezember traf der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) mit seinem Kärntner Amtskollegen Peter Kaiser (SPÖ) im Osttiroler Lienz zusammen. Kaiser hatte seine Zusammenarbeit mit der ÖVP 2023 auf weitere fünf Jahre verlängert. Ihre neue „Drau-Achse“ wollten Mattle und Kaiser bewusst als Signal an den Bund verstanden wissen, dass die GroKo lebt. Zumindest im Süden des Landes. Denn auch die Steiermark ist nach wir vor dem schwarz-roten Retro-Charme erlegen. Landeshauptmann Christopher Drexler gilt neben Mattle als munterster Verfechter einer Großen Koalition innerhalb der ÖVP und ist auch mit Peter Kaiser schon länger auf Achse. Nicht zuletzt wegen der flotteren Bahnverbindung durch den Koralmtunnel wollen die beiden ihre Bundesländer zu einem Wirtschaftsstandort verschmelzen. Sie nennen das Projekt fast avantgardistisch „Stern des Südens“. 

Für den geborenen Kärntner, Kickl, der nach der Wahl 56 Jahre alt ist, muss die GroKo ein Schreckgespenst sein. Immerhin will er jetzt „Volkskanzler“ werden und nicht mit dem Spruch alt werden. 

Was gegen die Große Koalition spricht, abgesehen von ihrem schlechten Leumund bei Bürgerinnen und Bürgern: Sie ist nicht mehr groß. ÖVP und SPÖ bräuchten nach jetzigem Stand einen dritten Partner wie Neos oder Grüne, und die würden beim Postenschachern stören. Außerdem haben ÖVP und SPÖ beschlossen, sich im Wahljahr gegenseitig mit Untersuchungs-Ausschüssen einzudecken, um sich auf offener Bühne Machtmissbrauch vorzuwerfen. Fürs Schmutzwäsche-Waschen bleiben allerdings wegen der Vorlaufzeit zur Nationalratswahl nur sechs Tage pro Ausschuss. Das hat ein gewisser Wolfgang Sobotka zuletzt verkündet. Noch ein Grund mehr für Dornauer, ihn zu mögen.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.