Morgenpost

Der Streit um den Naturschutz: Ein paar Fakten wären nett

Im Gezänk um das Renaturierungsgesetzt ging wieder einmal das Wichtigste unter: Evidenz. Kann man den Zustand der Natur messen?

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Mit hohem Empörungsgrad wurde in den vergangenen Tagen über das Renaturierungsgesetz debattiert und gestritten sowie über den daran entbrannten Koalitionskrach. Wir konnten im ORF-Fernsehen verfolgen, wie Juristen die Rechtslage erörterten (Verfassungsbruch oder nicht) und stellten im Anschluss fest, dass wir genau so klug waren wie vorher; und wir nahmen ebendort zur Kenntnis, dass Vertreter der Landwirtschaftskammer offenbar der Ansicht sind, dass es von der Meinungsbildung der österreichischen Länder und Gemeinden abhängt, ob es Europas Natur schlecht geht oder nicht. Ob die Lobby der Landwirte im Fall eines Wohnungsbrandes ebenfalls erst diverse Intressengruppen fragen würde, ob sie es für eine gute Idee halten, die Feuerwehr zu rufen (oder ob das zuviel bürokratischer Aufwand ist), wurde indes nicht thematisiert.

Was kaum in die öffentliche Diskussion einfloss, war Evidenz. Konkeret die Frage: Wie steht es um den Zustand der Natur? Und wie misst man ihn? Wie sieht es aus mit der Vielfalt, dem Artenreichtum, dem Wohlergehen von Europas Pflanzen, Insekten, Vögeln und Säugetieren?

Zum Glück gibt es das Science Media Center. Diese Plattform ist eine Schnittstelle zwischen der Wissenschaft, Medien und der Öffentlichkeit und erstellt regelmäßig zu wichtigen aktuellen Themen Kompendien – mit einer Fülle von Zahlen, Fakten, Statistiken und Studien, die zeigen, dass nicht alles eine Frage von Meinungen ist und man Entscheidungen durchaus an Fachwissen knüpfen könnte statt an das Durchsetzungsvermögen von Interessensgruppen.

Wie man Biodiversität in Zahlen gießt

Gestern klärte das Science Media Center darüber auf, „wie Biodiversität gemessen werden kann“. Es ging also um die Frage, wie man beurteilt, in welchem Zustand die belebte Umwelt ist und folglich darum, ob und wie dringend Maßnahmen angezeigt sind.

Beim Klimawandel zieht man beispielsweise den Ausstoß an Kohlenstoffdioxid heran, um Trends in Bezug auf globale Erwärmung zu ermitteln. Bei der Biodiversität ist es gar nicht leicht, belastbare Aussagen zu treffen, weil es unmöglich ist, Fauna und Flora quer durch Europa flächendeckend zu überwachen und daraus Entwicklungen abzuleiten. Daher konzentriert man sich auf einzelne, mit Bedacht ausgewählte Arten, an denen sich exemplarisch allgemeine Tendenzen ablesen lassen sollen. Ein Beispiel dafür ist der „Grassland Butterfly Index“. Damit werden 17 verschiedene Arten von Tagfaltern in 18 EU-Staaten erfasst. Die Daten stammen von Zählungen an rund 7000 Stellen in ganz Europa und werden von ehrenamtlichen Mitarbeiten geliefert. „Citizen Science“ nennt man diese gleichsam im Schwarm organisierte Unterstützung der Wissenschaft.

Warum ausgerechnet Tagfalter? Weil man durch ihre Beobachtung viele Informationen gewinnt – nicht nur über die Falter und deren Population selbst, sondern auch die Pflanzenwelt in deren Lebensräumen, von deren Zustand wiederum das Wohlergehen der Falter abhängt. Außerdem reagieren sie relativ schnell und empfindlich auf ökologische Veränderungen und sind auch deshalb ein Indikator für Vorgänge in der Natur. Der Befund in Bezug auf die Tagfalter ist recht eindeutig: Es zeigt sich ein starker Rückgang der Populationen in den vergangenen drei Jahrzehnten. Ähnliche Tendenzen sind für verschiedene Waldvogelarten belegt, ein weiterer Indikator für die Güte der Biodiversität.

Natürlich sind all dies Näherungswerte, die letztlich einen Ausschnitt aus einer viel größeren Realität darstellen, es sind keine letztgültigen Wahrheiten, sondern Hinweise und Indizien für kritische Entwicklungen, die im Gange sind. Wie immer können bessere Daten in Zukunft auch bessere Evidenz erbringen – doch mit Sicherheit liefern auch die vorliegenden Indikatoren solidere Handlungsansweisungen als die Befindlichkeiten heimischer Interessensvertreter. Sie sollten öfter Thema in den Debatten sein. 

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft