Morgenpost

Der (Wahl-)Kampf um die Straßen

Seit ihrem Amtsantritt hat Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zahlreiche Straßenbauprojekte gestoppt. Einige von ihnen werden jetzt im Wahlkampf wieder zum Streitpunkt.

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„Verhinderte Lückenschlüsse und fehlende Umfahrungsrouten belasten die Menschen und schaden dem Standort Österreich", schrieb Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gestern Vormittag in den sozialen Medien. Sein Wahlversprechen: In den Straßen-, Schienen, Energienetze- und Breitbandausbau möchte Nehammer bis 2030 rund 45 Milliarden Euro investieren. Im Zentrum stehen dabei auch Straßenbauprojekte, die bereits geplant, aber von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Die Grünen) nach und nach gestoppt wurden. Aber können die von Gewessler auf Eis gelegten Projekte jederzeit reaktiviert und umgesetzt werden? Und wenn ja, wie?

Projekte wie der S1-Lückenschluss rund um Wien inklusive Lobautunnel und die beiden in Niederösterreich geplanten Vorhaben der Traisentalschnellstraße (S34) und der Marchfeld Schnellstraße (S8) haben eine lange Vorgeschichte. Diese und weitere noch nicht umgesetzte Straßenbauprojekte der ASFINAG wurden seit dem Frühjahr 2021 überprüft. „Neben Fragen der Verkehrssicherheit und regionaler wirtschaftlicher Interessen standen auch Fragen nach dem Schutz von wertvollem Boden und der Natur sowie unserem Klima im Zentrum", so die Argumentation Gewesslers damals.

Rechtliche Nachspiele

Sowohl die S1, die S34 und auch die S8 haben Stand heute eines gemeinsam: sie wurden geplant, evaluiert und schließlich von Gewessler abgesagt. Rund um die S1 und den Lobautunnel sehen die Stadt Wien und die Wirtschaftskammer Wien einen „klaren Gesetzesbruch“. Die Klimaschutzministerin könne nicht eigenhändig Verkehrsprojekte absagen, so die Argumentation in der Hauptstadt. Ein rechtliches Nachspiel könnte auch Gewesslers Nein zur S34 haben, die Stadt St. Pölten kündigte jedenfalls entsprechende Schritte an. Die Absage der S8 liegt bereits beim Bundesverwaltungsgericht: Eine Entscheidung darüber, ob das Umweltverträglichkeitsverfahren dort rechtmäßig war, wird noch in diesem Sommer erwartet.

Geht es nach Bundeskanzler Karl Nehammer, dann sollen all diese Straßen – und noch viele weitere aufgeschobene Projekte – unter seiner Führung in der nächsten Regierung gebaut werden. Aber geht das auch so einfach?

Gestoppte Straßenbauprojekte

Vor rund einer Woche hat Bundeskanzler Karl Nehammer die Errichtung der von Klimaschutzministerin Gewessler abgesagten Marchfeld Schnellstraße (S8) sowie der Traisental Schnellstraße (S34) für den Fall einer neuerlichen Regierungsbeteiligung seiner ÖVP zugesagt.

Es ist ein bisschen komplexer, sagt Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Denn eigentlich hat der oder die zuständige Bundesministerin kein direktes Weisungsrecht an die Organe der ASFINAG. Aber: das jährlich neu zu akkordierende Bauprogramm der ASFINAG benötigt die Zustimmung der Ministerin. Und diese Zustimmung hat Gewessler verweigert. Wie also könnten von Gewessler gestoppte Projekte in die Umsetzung kommen?

„Wenn nun eine neue Bundesregierung im Amt ist, wird die ASFINAG-Führung wieder mit ihrem Bauprogramm an die zuständige Bundesministerin oder den zuständigen Bundesminister herantreten. Dann können meines Erachtens die gestoppten Bauprojekte wieder reaktiviert werden", sagt Bußjäger. Vorausgesetzt zwei Maßnahmen sind erfüllt: Zum einen braucht es für jedes Vorhaben eine Strategische Umweltprüfung. Zum anderen natürlich die Genehmigung des Projekts, je nach Größe mit oder ohne Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), sowie alle verkehrs- oder naturschutzrechtlichen bundes- und landesrechtlich relevanten Verfahren.

ASFINAG am Zug

Zentral ist also die Frage, ob die ASFINAG die teils vor Jahren gestoppten Projekte weiterhin umsetzen möchte. Bei all jenen Projekten, bei denen die Genehmigungen bereits vorlagen, könnte es mit der Umsetzung schnell gehen, meint Bußjäger.

Noch laufende Evaluierungen im Ministerium selbst könnte Gewesslers Nachfolgerin oder Nachfolger „jederzeit abdrehen", sagt der Verfassungsjurist. Schließlich werde es darum gehen, mit welchen Plänen die ASFINAG künftig im Verkehrsministerium aufschlagen wird. 

Formell kann sich der Bundeskanzler jedenfalls nicht aussuchen, welche Straßen gebaut werden und welche nicht. Realpolitisch aber sehr wohl. Etwa durch die Auswahl seiner Regierungsmannschaft, vor allem im Verkehrsministerium. Als Eigentümer der Aktiengesellschaft ASFINAG – 100 Prozent der Aktienanteile befinden sich im Bundesbesitz – ist der Draht dorthin jedenfalls ein kurzer. Bestellt werden Vorstandsmitglieder selbstverständlich in der Hauptversammlung – politikfremde Personen sitzen dort aber in der Regel nicht. Derzeit geben etwa Hartwig Hufnagl, der ehemalige Kabinettschef von Ex-Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) und Herbert Kasser das Vorstandsduo. Kasserer war zuvor Gewesslers Generalsekretär im Klimaschutzministerium.

Viel zentraler als die Frage, wer im ASFINAG-Vorstand sitzt, ist aber, welche Partei die Nationalratswahl Ende September gewinnt und wer einer künftigen Regierung angehört. Sollte das nicht die ÖVP mit ihrem Parteichef Karl Nehammer sein, bleiben die rund 45 Milliarden Euro auf jeden Fall ein Wahlkampfversprechen. Ohne, dass auch nur ein Kilometer der von Gewessler gestoppten Straßenbauprojekten asphaltiert wird.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.