Die Freiheit, die sie uns vorgaukeln
Kaum eine politische Debatte kommt derzeit ohne einen Kampfbegriff aus, der so harmlos klingt, dass man den Zynismus, den er verkörpert, leicht übersehen könnte. Wahlfreiheit – so heißt das Zauberwort, mit dem eine Lösung auf fast alle Probleme versprochen wird.
Die Freiheit zur Entscheidung wird aktuell gerne von ÖVP-Regierungsmitgliedern bemüht, wenn sie gefragt werden, wozu Bargeld in der Verfassung verankert werden sollte. "Es geht um diese Wahlfreiheit: Alle sollen selbst entscheiden, ob sie lieber bar oder mit Karte zahlen", argumentierte etwa Finanzminister Magnus Brunner in einem Interview mit profil. Ob ihm die Ironie bewusst war? Schließlich ist es sein Ressort, das seit 2016 für Steuerzahlungen eine Überweisungspflicht vorschreibt – und nur in Ausnahmefällen (etwa, wenn ein Steuerpflichtiger über keinen Internetzugang verfügt) Bargeld annimmt. Da können Bargeldfetischisten hundert Mal "Wahlfreiheit" rufen, sie werden weder Finanzbeamte noch eine Selfservice-Tankzapfsäule überzeugen.
Man könnte es als ausgleichende Gerechtigkeit bezeichnen, dass auch militante Kartenzahler wie ich an vielen Orten im Land an ihre Grenzen stoßen. Anders als in Skandinavien heißt es hierzulande oft: "Wir akzeptieren keine Karten" oder "Cash only". Echte Wahlfreiheit würde auch eine verpflichtende Möglichkeit zur Kartenzahlung bedingen. Sinnvoll wäre es, denn damit würde sich auch der Retro-Vorschlag der SPÖ nach einem Bankomaten in jeder Gemeinde erübrigen.
Die Freiheitlichen sind wahre Meister darin, der Wahlfreiheit das Wort zu reden. Öffentlicher Verkehr oder Auto? Darauf antwortete der oberösterreichische FPÖ-Verkehrslandesrat Günther Steinkellner bei einer Pressekonferenz in der Vorwoche mit – erraten: "Wahlfreie Mobilität". In einem Bundesland, in dem laut der NGO Verkehrsclub Österreich (VCÖ) nur 54 Prozent der Gemeinden "gut" mit öffentlichem Verkehr angebunden sind, bleibt den Bewohnern der restlichen Kommunen die Wahlfreiheit zwischen Auto und Moped.
Ähnlich genarrt müssen sich Familien aus Niederösterreich und Salzburg fühlen, die in den heuer beschlossenen Programmen ihrer Landesregierungen von Wahlfreiheit bei der Kinderbetreuung lesen. Welche Wahl bleibt ihnen, wenn es für Ein- und Zweijährige kaum öffentliche Betreuungsplätze gibt?