Die juristische Jagd auf den Wolf
Der böse Wolf trägt die Registriernummer 158 MATK und hat im Sommer 2022 auf ungeschütztem Tiroler Weideland etwa 20 Schafe gerissen. 158 MATK sollte also geschossen werden: Die Tiroler Landesregierung gab ihn per Bescheid zur Entnahme frei, wogegen allerdings mehrere Tierschutzorganisationen beim Tiroler Landesverwaltungsgericht Beschwerde einlegten.
Die Begründung: Der Bescheid genüge nicht den Anforderungen von Art. 16 Abs. 1 der EU-Habitatrichtlinie. Diese besagt, dass EU-Mitgliedsstaaten unter bestimmten Voraussetzungen von den strengen Schutzrichtlinien und Jagdverboten ausgewählter Tierarten abweichen dürfen – aber nur, „sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen.“ Also dann, wenn die Population groß genug ist, damit sie auch langfristig nicht bedroht ist.
Grundsätzlich ist die Jagd auf den Wolf in EU-Mitgliedsstaaten verboten, geschossen werden darf nur, wenn die in Art. 16 Abs. 1 aufgelisteten Voraussetzungen erfüllt sind. Manche Staaten, darunter Polen, die Slowakei oder die baltischen Staaten, haben Sonderregelungen, die die Wolfsabschüsse als „Verwaltungsmaßnahmen“ erleichtern. Österreich hat keine solche Sonderregelung, Bauernvertreter:innen fordern sie aber vehement.
Das LVwG Tirol befragte den Europäischen Gerichtshof nach der Beschwerde der Tierschutzorganisationen zur Gültigkeit des strengen Verbots unter geänderten Vorzeichen – immerhin stieg die Wolfspopulation in Österreich seit 2016 stark an. Laut dem „Österreichzentrum Bär Wolf Luchs“ wurden 2023 104 Wölfe in Österreich nachgewiesen, die sich auf sechs Rudel verteilen. Zwischen 2009 und 2015 wurden in Österreich nur jeweils bis zu sieben Wölfe pro Jahr nachgewiesen, das erste Rudel bildete sich 2016 in Allentsteig in Niederösterreich.
Die Prüfung der Gemengelage durch den EuGH, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, ergab allerdings nichts, „was die Gültigkeit des strengen Schutzes der Wölfe in Österreich beeinträchtigen sollte“. Außerdem heißt es in einer Aussendung des Gerichtshofes, dass die österreichische Regierung ja eine Untätigkeitsklage gegenüber der EU einbringen könnte, „soweit sie davon ausgeht, dass der Unionsgesetzgeber infolge der Entwicklung der Wolfspopulation in Österreich inzwischen den strengen Schutz der Wölfe hätte aufheben müssen.“
Der Europäische Gerichtshof hält außerdem fest, dass Ausnahmen vom Verbot in Österreich nicht gewährt werden können, da sich die Wolfspopulation in Österreich nicht in einem günstigen Erhaltungszustand befindet.
Die österreichischen Landesverwaltungsgerichte hatten bereits einiges zu tun mit Abschussbescheiden und Wolfsmanagementverordnungen, gegen die Umwelt- und Tierschutzorganisationen verlässlich Beschwerde einlegen. Im März hob das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg einen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz auf, der einen in Bludenz gesichteten Wolf zum Abschuss freigab. Weder hätte sich der Wolf aggressiv gegenüber Menschen verhalten, noch seien zuvor Besenderungs- oder Vergrämungsmaßnahmen eingesetzt worden. Der zuständige Landesrat Christian Gantner (ÖVP) stand trotz dieses gerichtlichen Erkenntnisses „voll und ganz hinter der Entscheidung, [...] einen Bescheid zu erlassen“. Dabei war nicht einmal eindeutig geklärt, ob das gesichtete Tier überhaupt ein Wolf war – oder möglicherweise ein Hybrid.
Einen gemeinsamen Nenner im Streit zwischen Tierschutzorganisationen und schusswilligen Landesregierungen stellt das Urteil des EuGH aber nicht dar. Denn: Beide Parteien sehen sich nun in ihrer jeweiligen Auslegung der Sache bestätigt. Der WWF spricht von einer „wichtigen Klarstellung“, der Bauernbund davon, dass der EuGH „Österreichs eingeschlagenen Weg anerkennt“, obwohl der EuGH freilich die Wolfsjagd weiterhin für verboten erklärte. Die Bundesländer sehen durch das Urteil keinen Handlungsbedarf und wollen an ihrer bisherigen Praxis festhalten.
Der renommierte Europarechtler Walter Obwexer meint jedoch in der Tiroler Tageszeitung (TT): „Ich gehe davon aus, dass die Verordnungen für die Entnahme von Problemwölfen in Tirol so nicht aufrechterhalten werden können.“ Die Entscheidung des EuGH käme faktisch einem Abschussverbot gleich, so Obwexer.
Es wird also nicht das letzte Mal gewesen sein, dass sich ein österreichisches Verwaltungsgericht mit dem Wolf beschäftigen muss. In Tirol muss jetzt über 158 MATK entschieden werden und schon am Wochenende soll in Salzburg ein weiterer Wolf zum Abschuss freigegeben werden.