Andreas Babler, Christian Stocker, Beate Meinl-Reisinger
Morgenpost

Die Justiz vom blau-schwarzen Knackpunkt zum roten Restposten

Österreichs erste Dreier-Koalition ist auf der Zielgeraden. Bei der heiklen Justiz gibt es aber noch offene Fragen.

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Bis „Mitte der Woche“ soll Österreichs erste Dreier-Koalition also stehen, heißt es offiziell aus den verhandelnden Parteien. Im Kalender wäre die Mitte der vierte von sieben Tagen, also Donnerstag, 27. Februar. Doch der Vortag wirkt wahrscheinlich, nicht nur aufgrund seines Namens, der das Zentrum der Arbeitswoche ankündigt: Am Mittwoch wird FPÖ-Chef Herbert Kickl gegen die Verhandler:innen zetern. Verkünden die drei Parteien gleichzeitig die neue Regierung, werden Kickls Worte beinahe ungehört verhallen.

Doch davor braucht es eine Einigung. Personell scheint das meiste schon festzustehen (siehe in der Übersicht unten), nur ein Ressort brauchte länger. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet das Justizministerium offenbar so schwer zu besetzen ist, dass es von einer Partei zur nächsten gereicht wird: Die Rufe nach einem parteifreien Experten an der Spitze des Ressorts wurden während der blau-schwarzen Verhandlungen laut, in dieser Phase wurde sogar eine Petition gestartet, die Unterschriften auch jetzt noch gesammelt. Zwar fürchten große Teile der Justiz, dass ein Minister ohne politischer Hausmacht finanziell benachteiligt werden könnte. Teile der Zivilgesellschaft fürchten aber Einflussnahmen auf Ermittlungsverfahren durch den Minister. Immerhin müssen die Staatsanwaltschaften noch immer den Weisungen der Justizministerin folgen.

Das Justizministerium gilt als besonders heikel. Schon bei den Blau-schwarzen Verhandlungen hatte es Herbert Kickl der ÖVP angeboten – wohl wissend, dass diese Unmut auf sich ziehen würde, wenn sie keinen unabhängigen Experten nominiert. Immerhin laufen zahlreiche Ermittlungen gegen die Partei, zuletzt wurde Anklage gegen den Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer erhoben. Ein klassischer schwarzer Parteisoldat an ihrer Spitze würde keinen schlanken Fuß machen.

Auch die Neos haben ein Compliance-Problem: Parteichefin Beate Meinl-Reisinger ist selbst Juristin, aber mit einem Richter verheiratet. Also wird sie lieber Außenministerin. So blieb das Justiz-Ressort eher über – und landete offenbar bei der SPÖ. Dort scheint der Wunsch nach einer wirklich unabhängigen Justizministerin enden wollend zu sein: Als Kandidatinnen gelten zwei SPÖ-Frauen und ein parteinaher Richter.

Zwei Migrantinnen, ein Richter

Die frühere Integrationsstaatssekretärin Muna Duzdar vertrat zuletzt als Anwältin etwa den jungen Palästinenser, der 2021 bei dem Terroranschlag von Wien einem Polizisten das Leben gerettet hatte. Die 46-Jährige gilt als enge Vertraute von SPÖ-Chef Babler, was ihr in der Partei allerdings nicht immer ein Vorteil ist. Für ein Mandat im Nationalrat reichte es jedenfalls nicht, Duzdars ambitionierter Vorzugsstimmen-Wahlkampf in Wien-Donaustadt lief ins Leere.

Weniger kontrovers innerhalb der SPÖ wäre Selma Yildirim als Justizministerin. Die Tirolerin ist Juristin am Finanzamt Innsbruck und rote Justizsprecherin im Nationalrat. Eigentlich wäre Yildirim lieber Richterin geworden: Im Dezember 2016 hatte sie sich beim Bundesfinanzgericht beworben und wurde auch als beste Kandidatin gereiht. Doch als die Stelle ein Jahr später besetzt wurde, war Yildirim bereits Nationalratsabgeordnete – unvereinbar für eine Richterin.

Entscheidet sich die SPÖ für Duzdar oder Yildirim, hätte die neue Regierung zumindest ein Mitglied mit Migrationshintergrund: Duzdar ist die Tochter zweier Palästinenser, Yildirim wurde in Istanbul geboren. Nach Alma Zadić würde im Justizministerium somit eine kleine Tradition migrantischer Ministerinnen starten.

Oliver Scheiber würde als gebürtiger Wiener den Migrationsanteil in der Regierung nicht erhöhen. Der Strafrichter leitet das Bezirksgericht Meidling, nebenbei unterrichtet Scheiber an der Uni Wien und der FH Wien und schreibt Bücher. Eine gewisse SPÖ-Nähe kann Scheiber nicht absprechen: Von 2007 bis 2008 war er stellvertretender Kabinettschef der damaligen SPÖ-Justizministerin Maria Berger. 

Auf das politische Parkett begibt sich der Jurist auch als Autor: 2019 schrieb Scheiber „Sozialdemokratie: Letzter Aufruf!“, 2023 erschien von ihm „Die Krise der Volkspartei“. Zu letzterem Werk kommentierte der „Falter“: „Wenn sich die ÖVP in all diesen Punkten nach Scheibers Vorstellungen reformiert, wäre sie am Ende allerdings eine sozialdemokratisch angehauchte Mitte-Partei.“ Dennoch würde Scheiber als Richter das Prädikat „parteiunabhängig“ erfüllen, auf das Bundespräsident Alexander Van der Bellen Wert legen soll. Einziges Manko: Die laufende Petition, die einen unabhängigen Justizminister fordert, hat Scheiber selbst initiiert.

Egal, für wen sich die SPÖ entscheidet: Der neuen Justizministerin oder dem neuen Justizminister droht Ungemach. Einerseits ist – früher oder später – mit weiteren Anklagen oder Einstellungen in den Ermittlungen gegen FPÖ und ÖVP zu rechnen. Bei Anklagen könnte der Druck des Koalitionspartners steigen, bei Einstellungen jener der Öffentlichkeit. Abhilfe würde eine unabhängige Generalstaatsanwaltschaft schaffen – bei der die ÖVP bisher allerdings ein Modell fordert, das alle anderen Parteien für einen Rückschritt halten.

Andererseits warnen Richter:innen und Staatsanwält:innen bereits jetzt vor massivem Personalmangel, die Gefängnisse sind überfüllt. „Auf Dauer sehe ich die effektive Strafverfolgung gefährdet“, sagte etwa Elena Haslinger, Präsidentin der Staatsanwälte-Vereinigung, Ende Jänner zu profil. Während der Staat sparen muss, muss die Justizministerin oder der Justizminister also mehr Geld aufstellen.

Viel Erfolg wünscht

Max Miller

PS: Eine kurze Zusammenfassung des Personalkarussels als Grundlage für die Diskussion beim Morgenkaffee:

Bei der ÖVP dürfte das halbe Regierungsteam gleichbleiben, entsprechend sicher dürften die Personalia schon sein:

  • Kanzler (offenbar mit EU-Agenden): Christian Stocker (neu)
  • Kanzleramtsministerin für Jugend und Familie: Claudia Plakolm
  • Staatssekretär im Kanzleramt: Alexander Pröll (neu)
  • Innenminister: Gerhard Karner
  • Verteidigungsministerin: Klaudia Tanner
  • Landwirtschaftsminister: Norbert Totschnig
  • Wirtschaftsminister: Wolfgang Hattmannsdorfer (neu)

Am meisten offen ist noch bei der SPÖ, deren Parteichef Andreas Babler sich eigentlich schon auf eine lange Zeit der Opposition gegen Blau-Schwarz eingestellt hatte und seine Partei nun doch nach acht Jahren zurück in die Regierung führt:

  • Vizekanzler und Beamten- und Sportminister: Andreas Babler
  • Frauenministerin: Eva Holzleitner
  • Infrastrukturminister: Sven Hergovich
  • Finanzminister: Silvia Angelo oder Alexander Wrabetz
  • Sozialministerin: Korinna Schumann
  • Justizministerin: Muna Duzdar, Selma Yildirim oder der Richter Oliver Scheiber

Die Neos bekommen als kleinster Koalitionspartner die wenigsten Ressorts:

  • Außenministerin (offenbar ohne EU-Agenden): Beate Meinl-Reisinger
  • Bildungsminister: Christoph Wiederkehr
  • Staatssekretär im Wirtschafts- oder Außenministerium: Sepp Schellhorn
Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.