Morgenpost

Die Kunst der Sozialdemokratie

Sparkurs ja, Verengung nein: Nach dem Urnengang wird auch die Kulturstadt Wien erneut zur Debatte stehen müssen.

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Sagen Sie niemals Wasserkopf zu ihr. In Österreichs elegant überproportionierter Haupt- und Millionenstadt mag sich vieles bündeln, nicht zuletzt politbürokratisch und einwohnertechnisch. Auch die meisten der zentralen Kultureinrichtungen finden sich, bei allem Respekt vor der vielfältigen Arbeit regionaler Kunstinitiativen dieses Landes, in Wien. Die Weltgeltung, die Österreich in Sachen Kunst und Kultur genießt, verdient starke politische Zuwendung: Die nach dem vorgestrigen Wahltag in ihrer Führungsrolle erwartungsgemäß bestätigte Sozialdemokratie hat sich kulturelle Diversität und einen breiten Kunstbegriff auf die Fahnen geschrieben. Ohne Wenn, ohne Aber. 

Kunst und Kultur seien identitätsstiftend, gab in diesem Sinne vor wenigen Tagen auch Vizekanzler und SPÖ-Chef Andreas Babler im großen profil-Interview zu Protokoll. Die Kultur sei eine der „tragenden Säulen der österreichischen Gesellschaft“. Kunstfragen seien grundsätzlich „hochpolitisch, vor allem auch gesellschaftspolitisch: Wie kann man Leistbarkeit und Pluralität, freien Zugang zur Kunst gewährleisten?“ Kultur sei ein „Gegenmodell zu allem, das verengend wirkt.“

Enge mal Breite

Von budgetärer Enge war in Wien daher bislang nicht viel zu spüren. Der Kulturetat, der hierorts, in einer Stadt, in der bereits deutlich über zwei Millionen Menschen leben, jährlich bereitgestellt wird, lag 2024 bereits bei fast 340 Millionen Euro. Wer anderes gewöhnt ist, könnte neidisch werden: Manchen Kulturschaffenden, die solche Zustände aus der Außenperspektive beobachten, erscheint Wiens kulturpolitische Zugewandtheit geradezu paradiesisch. So stellt etwa der New Yorker Musiker Paul Wallfisch, einstiges Mitglied der legendären US-Band Swans und nunmehr scheidender Konzertchef des Volkstheaters, auch nach fast sechs Jahren in dieser Stadt erstaunt fest, dass Wiens Jahres-Kulturetat fast doppelt so hoch dotiert ist wie der Subventionstopf des in Washington ansässigen National Endowment for the Arts, der einzigen staatlichen Bundeskulturförderungs-Institution der Vereinigten Staaten – eines Landes mit rund 340 Millionen Einwohner:innen. Und Wallfisch zitiert Joey Burns, den Frontmann der Band Calexico, die im Rahmen der Bühnenproduktion „Camino Real“ unlängst mehrfach am Volkstheater zu sehen waren; Burns werde nicht müde zu betonen, wie sehr er es genossen habe, in Wien zu arbeiten, „in einer Stadt, in der Kultur so sehr geschätzt wird“. Doch die Affinität allein wird nicht genügen, dazu sind handfestere Zuwendungen nötig.

Aufsteigende Panik

Dafür ist Veronica Kaup-Hasler, Wiens Amtsführende Kulturstadträtin, zuständig. Sie arbeitet mit Bürgermeister Michael Ludwig seit je in augenscheinlich bestem Einvernehmen, und sie wird – sie es aussieht – ihrem Wunsch entsprechend in ihrer Position verbleiben können. Und das ist eine durchaus gute Nachricht. Denn mit Kaup-Hasler wacht eine eloquente, großzügig denkende, keineswegs in der Klüngelei, sondern in der Materie verankerte Politikerin über die Kunstagenden dieser Stadt. Aber auch auf sie kommt Herbes zu. Der scharfe Sparkurs, den die Bundesregierung sich selbst verordnet hat, wird der Hauptstadt nicht erspart bleiben. 

An manchen Enden macht er sich bereits seit Wochen schmerzhaft bemerkbar. Die aufsteigende Panik in Österreichs Filmszene etwa, die zum Großteil in Wien daheim ist, kann angesichts Dutzender stagnierender Drehvorhaben nicht mehr unterdrückt werden. Seit die vormals hochdotierten Standortförderungen, die das wirtschaftlich lukrative Drehen in- und ausländischer Film- und Fernsehprojekte in Österreich begünstigen sollten, vor Monaten schon eingefroren wurden, macht sich die Branche begründet heftige Sorgen. Hier steht tatsächlich einiges auf dem Spiel, nicht nur der gute Ruf des heimischen Kinos. Mehr dazu lesen Sie in der kommenden Ausgabe dieses Magazins.  

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.