Morgenpost

Die Russland-Freunde und ihr Verein

Investigativ-Podcast: Wie die „Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft“ Regierungsmitglieder und Wirtschaftsbosse hofierte – und Einfluss auf die Politik nehmen wollte.

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Es ist ein Punkt, der im Selbstverständnis dieses besonders bemerkenswerten Vereins ganz oben steht: „Networking“. Vernetzung zwischen Österreich und Russland „auf allen Ebenen“ – besonders jedoch auch im Bereich von Wirtschaft und Politik. Zusammengefasst lässt sich sagen: Wer nach der zentralen Schaltstelle für mächtige und finanzkräftige Putin-Versteher in Österreich sucht, ist bei der „Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft“ (ORFG) an der richtigen Adresse.

Doch klar ist auch: Networking – das gekonnte Knüpfen nützlicher Kontakte – funktioniert nie nur in eine Richtung. Wer österreichische Interessen in Russland forciert, öffnet gleichzeitig auch eine Tür für russische Interessen in Österreich. Und das kann ungeahnte Folgen haben.

Unter dem Titel „Putin“ veröffentlicht profil im Rahmen des Investigativ-Podcastformats „Nicht zu fassen“ eine neunteilige Staffel zu den mannigfaltigen toxisch gewordenen Beziehungen zwischen Russland und Österreich. Ab Montag ist die dritte Folge abrufbar. In dieser geht es um die ORFG – und damit auch um zahlreiche höchst prominente Persönlichkeiten aus den heimischen Machtzirkeln.

Who is who

Eine kleine Auswahl in alphabetischer Reihenfolge: Peter Fichtenbauer (früher FPÖ-Nationalratsabgeordneter und Volksanwalt), Johann Gudenus (früher FPÖ-Klubobmann im Nationalrat, später einer der Hauptdarsteller im Ibiza-Video), Gustav Gustenau (früher Brigadier des Bundesheeres und stellvertretender Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik), Heinz Hufnagl (früher Wiener SPÖ-Gemeinderat und Dritter Landtagspräsident), Wolfgang Katzian (SPÖ-Politiker, heute ÖGB-Chef), Gabriel Lansky (prominenter Rechtsanwalt, gilt als SPÖ-nahe), Michael Kloibmüller (früher Kabinettschef im Innenministerium, ÖVP-nahe), Christoph Matznetter (SPÖ-Politiker und Vizepräsident der Wirtschaftskammer), Ludwig Scharinger (ehemaliger Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank OÖ, mittlerweile gestorben) Stefan Schennach (Bundesrat – früher Grüne, dann SPÖ), Günter Stummvoll (früher ÖVP-Nationalratsabgeordneter), Harald Wögerbauer (einst Politischer Direktor des ÖVP-Parlamentsklubs, später beim Europäischen Rechnunghof).

Was sich liest wie das VIP-Telefonbuch aus Politik und Verwaltung, ist eine Auswahl von Mitgliedern des Präsidiums und des Erweiterten Vorstands der ORFG, wie sie Anfang 2015 dort auf der Website zu finden war. Das war somit deutlich nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. Früher gab es noch jede Menge andere durchaus prominente Persönlichkeiten bei der Freundschaftsgesellschaft. Diese macht auch gar keinen Hehl aus ihrer tiefen Verankerung in wichtigen Einflusssphären dieser Republik. Auf der Website der Freundschaftsgesellschaft ist zu lesen: „Unter den Mitgliedern des Präsidiums und des Vorstandes der ORFG befinden sich Vertreter der österreichischen Bundesministerien, Parlamentsparteien, der Stadt Wien sowie politischer und wirtschaftlicher Interessensvertretungen und aus der Privatwirtschaft.“

Gast-Freundschaftsgesellschaft

Doch nicht nur die Mitglieder dieser außergewöhnlichen Organisation sind einen Blick wert – auch deren Gäste. Bis zum Einmarsch Russlands in der Ukraine im Februar 2022 legte die ORFG ein durchaus reges Vereinsleben an den Tag und organisierte unter anderem Vorträge und Gesprächsrunden. Die Liste der hochrangigen Referenten (und vereinzelt auch Referentinnen) vermittelt eindrücklich den herausragenden Stellenwert der Freundschaftsgesellschaft auf dem Wiener Polit- und Wirtschaftsparkett. Auch hier wiederum nur eine Auswahl:

Karl Sevelda, damals CEO der Raiffeisen Bank International (RBI), sprach schon im September 2014 über die Russland-Sanktionen und die Konsequenzen für den Bankensektor. Bekanntermaßen hat die RBI dieses Problem bis heute nicht losgelassen.

Der damalige NEOS-Chef Matthias Strolz war ebenfalls 2014 da. Auf der Einladung wurde er mit einem „Statement zum Thema EU und Russland – Zutaten für eine gelungene Partnerschaft“ angekündigt.

Heinz-Christian Strache, damals FPÖ-Chef, folgte 2015.

Karlheinz Kopf, hochrangiger ÖVP-Politiker, damals Zweiter Nationalratspräsident und Obmann der Parlamentarischen Gruppe Österreich-Russland, referierte laut vorliegender Einladung im April 2016 unter dem Motto: „Beziehungen normalisieren. Win-Win statt Lose-Lose!“

Ende September 2016 war der damalige OMV-Chef Rainer Seele geladen. Sein Vortrag stand unter dem Titel „Energiepartner Russland?“ – das Fragezeichen ist mittlerweile noch viel größer geworden.

Harald Mahrer, damals ÖVP-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, mittlerweile Wirtschaftskammer-Boss und Nationalbankpräsident, referierte im Dezember 2016 zum Thema „Wirtschaft und Innovation in Österreich, Russland und global“.

Andrä Rupprechter, damals Landwirtschaftsminister für die ÖVP, sprach laut Einladung im Februar 2017 über „Europa & Russland: Eine Partnerschaft für die Zukunft“.

Der damalige ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka war im Mai 2017 zur Thematik „Die Beziehungen zu Russland aus Sicht der inneren Sicherheit“ geladen. Ob dieser Vortrag stattfand, ist unklar – zumindest fand sich auf der Website der ORFG kein entsprechender Bericht dazu. Dabei wäre gerade dieses Thema besonders interessant gewesen, hegen Ermittler heute doch den Verdacht, dass sich in jener Zeit im Verfassungsschutz eine russische Spionagezelle breitgemacht hat.

Virulent wurden die Vorgänge im Verfassungsschutz dann unter Sobotkas Nachfolger als Innenminister, Herbert Kickl von der FPÖ. Kickl hätte im November 2018 bei der Freundschaftsgesellschaft referieren sollen – und zwar unter dem Titel: „Sicheres Österreich“. Der damalige Minister konnte den Termin allerdings nicht wahrnehmen. Als Vertretung kam seine damalige rechte Hand, Generalsekretär Peter Goldgruber.

Ein weiteres Highlight im Rahmen dieser eindrucksvollen Gäste-Parade: die – damals bereits ehemalige – Außenministerin auf FPÖ-Ticket, Karin Kneissl, im September 2019 mit einem Vortrag zum Thema „Russland im aktuellen geopolitischen Umfeld“. Kneissl sitzt bekanntlich mittlerweile direkt in Russland, wo sie eine Art Thinktank von Putins Gnaden leitet und mit ihrem Social-Media-Auftritt der Kreml-Propaganda in die Hände spielt.

Vom Netzwerken zum Lobbying

Es gibt nicht viele Organisationen, die in einer solchen Dichte Regierungsmitglieder, Parteichefs und Wirtschaftsbosse anziehen. Die ORFG hat Networking de facto zu einem wesentlichen Vereinszweck erhoben. Da stellt sich die Frage, was – quasi nebenher – alles besprochen wird, wenn hochrangige Entscheidungsträger zu Gast sind. Umso mehr, als profil-Recherchen nunmehr darauf hindeuten, dass sich die ORFG nicht nur mit reinem Netzwerken begnügt hat, sondern ihre besonderen Zugänge auch für Lobbying nützen wollte. Konkret: für die Beeinflussung von Politikern und anderer Entscheidungsträger.

Am 6. Dezember 2016 wandte sich die ORFG per E-Mail an ihre Mitglieder – das Mail liegt profil vor. Angehängt war eine von der Freundschaftsgesellschaft in Auftrag gegebene Studie bei einem prominenten Meinungsforscher. Fazit: „Sollte man sich in naher Zukunft dazu entschließen, die Sanktionen gegen Russland zu lockern und die Beziehungen zu normalisieren, so ist kaum mit Gegenstimmen aus der Bevölkerung zu rechnen. Tendenziell besteht die Möglichkeit, politisch bei den Wählern zu punkten.“

Und das sollten die Mitglieder der ORFG – so das Ansinnen des Vereins – jenen, die „bei den Wählern zu punkten“ versuchten, auch mitteilen. Im Mail heißt es: „Die Ergebnisse der Umfrage sollen österreichischen Entscheidungsträgern eine Argumentationsunterstützung geben, um für eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland eintreten zu können.“ Dies vor dem Hintergrund, dass die Zeit drängte: Die EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland waren erstmals im Juli 2014 beschlossen und dann mehrfach verlängert worden, weil sich die Situation in der Ukraine nicht gebessert hatte. „Die neuerliche Abstimmung zur Verlängerung der Sanktionen erfolgt Ende Jänner 2017“, ließ die ORFG ihre teils hochrangigen Mitglieder in dem E-Mail wissen – und fügte gleich eine praktische Handlungsanleitung dazu: „Falls Sie vor Ende Jänner 2017 einen Entscheidungsträger treffen (Weihnachtsfeiern!), der auf diese Abstimmung Einfluss nehmen könnte, würde es uns freuen, wenn Sie die Person auf den Inhalt unserer Studie aufmerksam machen.“

Allem Anschein nach rief die ORFG also dazu auf, – durchaus auch im informellen Rahmen – Entscheidungsträger zu beeinflussen, um die für die Wirtschaft, aber auch für Russland lästigen Sanktionen loszuwerden. Solange kein Geld fließt oder andere Vorteile gewährt werden, ist das nicht illegal. Mit bloßem Interesse an kulturellem Austausch und Dialog hat das aber auch nichts mehr zu tun – sondern eher mit der Durchsetzung handfester Interessen unter dem Deckmantel der „Freundschaft“.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).