Regierungsbildung

Die Zukunft trägt Ananasdamast

Vom Schlafzimmer der Kaiserin zur Schmiede politischer Pakte auf Zeit – im Maria-Theresien-Zimmer wird dieser Tage ein neues Kapitel in der Geschichte Österreichs geschrieben. Ein Blick auf die wichtigste Türe der Republik.

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Die Augen der Republik sind dieser Tage auf eine Türe gerichtet. Auf eine rote Türe. Bespannt ist sie mit Ananasdamast, einem Seidenstoff mit Pinienzapfen. Ihr schmaler güldener Türknauf befindet sich ominös auf Schulterhöhe.

Am heutigen Freitag wird FPÖ-Chef Herbert Kickl durch die rote Pinienzapfen-Tapetentüre im Leopoldinischen Trakt der Hofburg gehen. Als erster Vorsitzender der fünf künftig im Parlament vertretenen Parteien hat der FPÖ-Parteichef um 13 Uhr einen Gesprächstermin bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Die unscheinbare Tür wird Herbert Kickl wie viele Parteichefs, Minister und Spitzenpolitiker vor ihm vom prunkvollen barocken Maria-Theresien-Zimmer ins Arbeitszimmer des Bundespräsidenten führen.

Die Tapetentüre ist nicht nur die berühmteste, sondern wohl auch die wichtigste Türe der Republik. Wer sie dieser Tage benutzt, wird mit Argusaugen beobachtet. Gesichtsausdruck, Körperhaltung, ein kurzes Statement, ein verlegenes Lächeln: All das wird in den kommenden Tagen und Wochen detailliert beobachtet und kommentiert werden. Wenn am kommenden Montag dann Noch-Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer sowie SPÖ-Chef Andreas Babler jeweils ihre Gesprächstermine beim Bundespräsidenten absolvieren werden. Oder wenn tags darauf NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Grünen-Chef Werner Kogler durch die Zimmerflucht des Leopoldinischen Traktes zu ihren Terminen gehen werden.

Im Maria-Theresien-Zimmer, von dem die Tapetentüre ins Büro des Staatsoberhauptes führt, finden alle Staatsakte des Bundespräsidenten satt – etwa die Ernennung und Angelobung der jeweiligen Bundesregierung, die Angelobung der Präsidentinnen und Präsidenten der Höchstgerichte, der Landeshauptleute oder auch die unzähligen Empfänge für Gäste aus dem In- und Ausland.

Inbegriff republikanischer Schlichtheit

Auf Zeitungscover hat es die Tapetentüre schon öfter geschafft. Etwa als jene türkis-grüne Regierung angelobt wurde, die Alexander Van der Bellen diesen Mittwoch wie üblich nach Nationalratswahlen auf deren Wunsch des Amtes enthoben und gleichzeitig mit der Fortführung der Verwaltung beauftragt hat. Solange, bis in eben jenem Raum eine neue Regierung angelobt worden sein wird. Die Türe war zuletzt medial sehr präsent - nicht nur bei den allfälligen Ministerwechseln. Oder als etwa Brigitte Bierlein 2019 aus ihr heraustrag, um als erste Bundeskanzlerin der Expertenregierung angelobt zu werden. Oder zwei Jahre zuvor als Sebastian Kurz mit dem Regierungsbildungsauftrag die Präsidentschaftskanzlei verließ, der zu Türkis-Blau führen sollte.

Die historische Bedeutung sieht man der scharlachroten Türe gar nicht an. Im Vergleich zum habsburgischen Prunk des gesamten Traktes ist sie von ergreifender Unscheinbarkeit. Sie ist im imperialen Prunk der Inbegriff von republikanischem Understatement, könnte man sagen. Auf den ersten Blick geht sie unter zwischen all den glitzernden Lüstern, glänzenden Paneelen mit Goldornamenten und dem polierten Sternparkett.

An Bedeutung verliert sie dadurch nicht. Auch in naher Zukunft wird wieder ein Parteichef durch diese Türe mit einem Regierungsbildungsauftrag treten. Ob es wie in der Vergangenheit der Chef der stimmstärksten Partei, also aktuell FPÖ-Chef Herbert Kickl, sein wird, darüber wird noch spekuliert. Dieser Auftrag ist nicht in der Verfassung festgelegt, aber gelebte Praxis. Van der Bellen hatte in der Vergangenheit verlauten lassen, Kickl im Fall eines Wahlsiegs nicht automatisch einen Regierungsbildungsauftrag zu erteilen.

Fruchtbarkeit der Pinien

Die Türe selbst besteht aus Holz und ist mit dem Ananasdamast, der auch „Hofdamast“ genannt wird, bezogen. Das ist, so heißt es aus der Hofburg, ein roter Seidenstoff, der Pinienzapfen als altes Fruchtbarkeitssymbol und Arkanthusblätter zeigt. Er wurde in der Hofburg Wien für Wohnzwecke erstmals um 1840 im „Bilderzimmer“ des Appartements von Erzherzogin Sophie, der Mutter von Kaiser Franz Joseph, verwendet.

Im Maria-Theresien-Zimmer werden die Pinienzapfen und Arkanthusblätter in naher Zukunft auch die Angelobung einer neuen Regierung bezeugen können. Bis dahin wird sich die edle Holztüre noch etliche Male geöffnet und geschlossen haben. Für vertrauensbildende Gespräche mit den Parteichefs, die Erteilung eines Regierungsbildungsauftrags oder den Vorschlag eines künftigen Kabinetts.

Der Raum, in dem die neue Regierung dann angelobt werden wird, hat eine wechselvolle Geschichte. Bis zum Jahr 1946 zierten diesen Raum nicht der schmucke Angelobungstisch und das imposante Staatsporträt Maria Theresias. An Stelle des Gemäldes stand bis nach dem Zweiten Weltkrieg ein barockes Paradebett – üppig mit Gold bestickt und mit rotem Baldachin. Die Tapetentüre führte also einst in und aus Maria Theresias Schlafgemach.

Seit der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages 1955 bildet einer jener Tische, auf denen dieser unterzeichnet wurde, den zentralen Punkt des heutigen Maria-Theresien-Zimmers. „Der Barocktisch ist zu einem republikanischen Möbelstück geworden“, steht dazu auf der Homepage des Bundespräsidenten.

Gegen den Uhrzeigersinn

Politische Beobachter:innen gehen davon aus, dass es nach der jüngsten Nationalratswahl einige Zeit dauern könnte, bis eine neue Regierung angelobt werden wird. Doch Zeit ist relativ, nicht nur in diesen historischen Mauern: Die astronomische Uhr neben der Tapetentüre, im Jahr 1671 vom bayrischen Hofuhrmacher Johann Georg Mayr angefertigt, wird das nicht aus dem Takt bringen. Die zwei Meter hohe Uhr erinnert noch an die frühere Nutzung des Zimmers als hier noch keine politischen Ehen auf Zeit geschlossen, sondern geschlafen wurde. Die Uhr läuft nämlich gegen den Uhrzeigersinn. Auch das Ziffernblatt ist seitenverkehrt angebracht. So konnte man die Uhrzeit bequem vom Bett aus über den Spiegel ablesen.

Mögen diese beiden historischen Fakten historisch bleiben. Und eine künftige Bundesregierung sinnbildlich weder schlafen noch die Uhr der Zeit rückwärts drehen.

Judith Belfkih

Judith Belfkih

war zwischen Juli und November vertretende Digitalchefin. Davor in der Chefredaktion der „Wiener Zeitung“.