Ein Drittel der Obdachlosen in Wien ist unter 30
Der 25. Geburtstag ist für viele ein trauriger Tag. Dann sind Eltern nicht mehr verpflichtet, für sie zu sorgen. „Von einem Tag auf den anderen müssen sie einen Alltag meistern, für den sie kaum oder unzureichend vorbereitet wurden“, sagt Roland Skowronek, Geschäftsleiter der Hilfsorganisation Heilsarmee. Ohne Ersparnisse oder einem Job landen sie entweder auf die Couch eines Bekannten oder direkt auf der Straße. So ist ein Drittel der 20.000 obdach- und wohnungslosen Menschen in Österreich zwischen 18 und 30 Jahre alt. Das geht aus einem Bericht hervor, der gestern vom Verband der Wiener Wohnungslosenhilfe präsentiert wurde. Eine doppelt so hohe Dunkelziffer wird angenommen.
Mehr Unterstützung gefordert
Gleichzeitig endet der Rechtsanspruch auf Betreuung durch die Kinder- und Jugendhilfe Wien mit 18 Jahren. Diese sogenannten Care Leaver (dt. „Fürsorge-Verlasser“) geraten somit öfter in prekäre Wohnsituationen. Das würden Hilfsorganisationen gerne ändern. Sie fordern einen Rechtsanspruch auf Unterstützung für Care Leaver. Auch fordern sie die Möglichkeit, die Betreuung nach Unterbrechungen bis zum 24. Lebensjahr wieder aufzunehmen zu können.
Junge Menschen haben spezielle Bedürfnisse, die laut Hilfsorganisationen in den bisherigen Unterstützungsangeboten nicht berücksichtigt werden. Denn oftmals fehlt es jungen Menschen in der Krise an Energie und finanziellen Mitteln, etwa eine Ausbildung in einem Zug abzuschließen. Besonders vulnerabel sind junge Frauen und queere Menschen, die laut den Organisationen vermehrt der Gewalt ausgesetzt sind.
„Wenn wir junge Menschen in Krisensituationen nicht verlieren und ihnen einen Weg aus der Wohnungslosigkeit bieten wollen, müssen wir sie dort abholen, wo sie stehen und nicht versuchen, sie in Angebote zu pressen, die für sie nicht geeignet sind“, so Andreas Gampert von der Diakonie.
Wien als Vorreiter
Im Vergleich zu anderen Großstädten schneidet Wien in der Wohnungslosenhilfe nicht schlecht ab. Das Committent im Rathaus sei laut Elisabeth Hammer, Geschäftsführerin des neunerhaus, auch stärker geworden: „Wien hätte das Potenzial, Vorreiter in Europa zur Beendigung von Obdach- und Wohnungslosigkeit zu werden.“ Die Stadt Wien reagiert in einem Statement auf profil-Anfrage:
„Wie in der Pressekonferenz festgehalten wurde, verfügt die vom Fonds Soziales Wien organisierte Wiener Wohnungslosenhilfe über zahlreiche Angebote für junge Erwachsene, die in den vergangenen Jahren ausgebaut wurden. Dazu gehören spezifische Plätze für diese Altersgruppe in Chancenhäusern und stationär betreuten Wohneinrichtungen, Akutunterbringungsplätze, ein eigenes Tageszentrum (aXXept) sowie Gesundheits- und Beratungsangebote. Care Leaver werden von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe betreut, die die jungen Erwachsenen beim Start in ein selbstständiges Leben unterstützt. Das umfasst auch präventive Maßnahmen, damit sie erst gar nicht obdachlos werden.“
Die Erklärung von Lissabon der EU-Kommission gibt das Ziel vor, Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden. Dazu haben sich alle EU-Mitgliedstaaten bekannt. „Dieses Ziel ist erstrebenswert“, heißt es aus dem Wiener Rathaus, „aber nicht realistisch“.
Wie zwei Frauen den Ausstieg aus Wohnungslosigkeit geschafft haben, hat profil im Sommer berichtet.
Ein schönes Wochenende wünscht
Elena Crisan