Ein Kick für Kickl
Die kommende Woche wird geprägt sein von Scharmützeln vor der Landtagswahl in Niederösterreich. Entsprechend skurril lesen sich die Nachrichten in den Tagesmedien, ganz zu schweigen von den Blähungen aus dem Online-Sumpf. Ich warte gebannt auf wechselseitige Vorwürfe der wahlwerbenden Parteien gegen die jeweiligen Spitzenkandidaten: wegen Quälerei oder überzogene Zuneigung von und zu Haus- und Nutztieren; wegen überhöhter oder zu geringer Geschwindigkeit am Steuer zu großer oder zu kleiner Kraftfahrzeuge; wegen zu viel oder zu wenig Alkohol im politischen Dienst.
Wir haben uns in der vorliegenden Print- und E-Paper-Ausgabe zurückgehalten und auf gut zehn Seiten erfolgreich versucht, objektiv zu bleiben — in einem Bundesland das von der subjektiven Sicht einer einzigen Partei geprägt ist.
Altmodisch gegen Manipulation und Dummheit
Eben komme ich vom Einlesen meines Leitartikels. Unsere Kommentare sind ja oft auch als Podcast zum Hören verfügbar. (Zu Leitartikel fällt mir nach 25 Jahren als profil-Herausgeber und rund 1000 „Leitartikeln“ ein: Das ist ein altmodisches Wort, um das einem Bange wird, wenn man an die unaufhaltsam wegschmelzende Funktion von Journalismus als einordnende Kraft zwischen Manipulation und Dummheit denkt.) In jenem Leitartikel komme ich auf wenig verwundenem Weg von der Landtagswahl zur Bundespolitik und damit zu einer entscheidenden Frage für die Zukunft. Das geht so: In Niederösterreich kann die FPÖ laut gleichlautenden Umfragen die SPÖ überholen und so auf Platz zwei landen. Zugleich publizieren wir im aktuellen Heft eine Umfrage, wonach die FPÖ mit 28 Prozent und vier Prozentpunkten Vorsprung auf die SPÖ bundesweit auf Platz Eins liegt. Nur eine Umfrage ja, aber im Ergebnis an Rande der Belastbarkeit von Schwankungsbreiten.
FPÖ statt Klassenfeind
Der letzte Absatz lautet dort: „Kanzler Kickl? Halbzeitkanzler Kickl? Ein vorgeschobener FPÖ-Politiker als Kanzler mit Kickl im Hintergrund (wie einst Susanne Riess-Passer für Jörg Haider)? Man möge nichts ausschließen! Und ich erspare uns hier auszuführen, warum ich das als Warnung verstanden wissen will.“ Obige werden die Fragen nach dem kommenden Sonntag und vor der kommenden Nationalratswahl sein. Und daran anschließend: Wer mit wem? Und vor allem: Wer mit der FPÖ? Nicht in Niederösterreich, sondern in der Bundesregierung. Ein Baukasten dazu – das Ergebnis jener Umfrage: FPÖ 28 %, SPÖ 24 %, ÖVP 22 %, Grüne 12 %, NEOS 8 %. Demnach ginge sich weder die sogenannte Ampel nach deutschem Vorbild aus, ja nicht einmal das, was eben noch „große Koalition“ geheißen hatte. So fern liegt der Gedanke nicht, dass Volkspartei oder (ja!) die Sozialdemokratie dann ein Arbeitsübereinkommen mit den Freiheitlichen der Koalition mit dem Klassenfeind und zusätzlich einer dritten Partei vorziehen würden.
Undenkbar? Das ist so undenkbar, wie eine Koalition mit Jörg Haider („ordentliche Beschäftigungspolitik“) vor der Wahl 1999 undenkbar gewesen war oder mit Heinz-Christian Strache („Wehrsportübungen“) 2017. Da ist so undenkbar, wie ein Wiedererstarken der FPÖ nach der Abspaltung des BZÖ unter Haider und nach dem Ibiza-Video undenkbar war. Zitat des damaligen FPÖ-Bundespräsidentenkandidaten und späteren FPÖ-Bundesparteiobmannes Norbert Hofer (49,65% im zweiten von ihm dann erfolgreich angefochtenen Wahlgang 2016 gegen Alexander Van der Bellen): „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist.“
Einen dennoch schönen Tag wünscht Ihnen Ihr
Christian Rainer
Herausgeber und Chefredakteur