Ein Morgen ohne Amtsgeheimnis
Das renovierte Parlament hat für einen jungen Journalisten wie mich einige Nachteile: Die alten Gepflogenheiten des Hohen Hauses sind mir meist fremd, das verwinkelte Gebäude verwirrend und der Kaffee teuer. Einen großen Vorteil bietet es aber zu seinen vorübergehenden Vorgängern der zersplitterten Ausweichquartiere: Man trifft tatsächlich Abgeordnete – und kann mit ihnen reden! Zum Beispiel über den teuren Kaffee. Oder über historische Beschlüsse.
Seit 1925 herrscht in Österreich per Verfassung die Amtsverschwiegenheit. Im Grunde besagt sie, dass Beamt:innen und andere staatliche Akteure in der Regel im Geheimen arbeiten. Im 21. Jahrhundert klingt das bizarr – und ist es auch: Österreich ist die letzte Demokratie Europas, in dem es ein derartiges Verfassungsgesetz gibt.
Die Folgen sind skurril und für den Rechtsstaat mitunter gefährlich, wie etwa der Investigativjournalist Franz Miklautz am eigenen Leib erfahren musste. Weil er über die exorbitant hohen Überstunden des Klagenfurter Magistratsdirektors berichtet hatte, beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt im Juni letzten Jahres Handy und Laptop des Journalisten. Immerhin habe er die Informationen nur durch den Bruch des Amtsgeheimnisses erhalten können, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft.
Damit wurde weit über das Ziel hinausgeschossen. Das Verfahren gegen Miklautz wurde nach Einschreiten des Justizministeriums rasch eingestellt, immerhin gilt in Österreich auch das Redaktionsgeheimnis. Zudem ist die bloße Veröffentlichung eines von Dritten geoffenbarten Amtsgeheimnisses keine Straftat, wie Justizministerin Alma Zadić (Grüne) der Klagenfurter Staatsanwaltschaft ausrichten ließ. Dennoch offenbart der Fall eine grundlegende Gefahr des Amtsgeheimnisses, die österreichischer nicht sein könnte: Wer auf Missstände aufmerksam macht, kann verfolgt werden.
Das hat nun ein Ende. Zu seinem hundertjährigen Jubiläum fällt das Amtsgeheimnis, stattdessen gilt in Österreich ab September 2025 ein Informationsfreiheitsgesetz.
Das neue Gesetz ist nicht perfekt. So müssen etwa Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohner:innen viele Informationen erst auf Nachfrage bekanntgeben. Eine von NGOs und Expert:innen geforderte Stelle, die Bürger:innen bei ihrer Suche nach und den Staat bei der Herausgabe von Information hilft, fehlt. Und bei einer möglichen Reform des Gesetzes hat jedes Bundesland ein Vetorecht. Den Neos waren das zu viele Nachteile, sie verweigerten dem Gesetz die Zustimmung. Beschlossen wurde es dank der Stimmen von ÖVP, Grünen und SPÖ dennoch, ab 1. September 2025 ist das Amtsgeheimnis damit Geschichte.
In den Gängen des Parlaments genießt die Information ihre Freiheit bereits voreilig, den Paradigmenwechsel erkennen Abgeordnete aller Couleurs an: „Das Amtsgeheimnis gehört ins vergangene Jahrtausend“, sagt etwa ein Oppositionsabgeordneter, der im Plenum gegen das Gesetz gestimmt hat. Spät aber doch schließt Österreich ins 21. Jahrhundert auf. Immerhin.
Einen guten Start in den Tag wünscht
Max Miller